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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief
Autoren: Susan Abulhawa
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Olivenholzbearbeitung im Freien gegerbt waren. Nach seiner Pilgerreise nach
Mekka durfte er sich »Haj« nennen, und der neue Titel verlieh ihm symbolisch den Rang des Älteren. Abends rauchten die beiden Freunde immer gemeinsam Huka und debattierten, wer am härtesten gearbeitet hatte und wessen Söhne am stärksten waren. »Für deine Lügen wirst du zur Hölle fahren, Alter«, sagte Yahya und führte die Pfeife an die Lippen.
    »Alter? Du bist älter als ich, du alter Knacker«, entgegnete Salim.
    »Wenigstens habe ich noch alle Zähne.«
    »Von mir aus. Hol das Brett raus, damit ich dir wieder mal beweisen kann, wer der Bessere ist.«
    »Du bist dran, du verlogener, zahnloser, schwächlicher Sohn deines Vaters.«
    Beim Backgammonspiel und blubbernden Hukas wurde dieser alljährliche Zwist beigelegt, und sie spielten so lange weiter, bis ihre Frauen sie mehrmals rufen lassen mussten.
    Zufrieden mit dem morgendlichen Arbeitstempo, absolvierte Yahya das Dhuhr-Salat und setzte sich auf die Decke, auf der Basima Linsen und Makluba mit Lamm und Joghurtsauce angerichtet hatte. Ein wenig entfernt stellte sie eine Mahlzeit für die Wanderarbeiter hin, die das Angebot dankbar annahmen.
    »Mittagessen!«, rief sie Hasan und Darwish zu, die gerade das zweite Salat des Tages beendet hatten.
    Um das dampfende Tablett mit Reis und kleinere Teller mit Saucen und eingelegtem Gemüse versammelt, wartete die Familie darauf, dass Yahya im Namen Allahs das Brot brach. »Bismillahi al-Rahmani al-Rahimi.« Die Jungen fielen ein und griffen hungrig nach dem Reis, den sie zu mundgerechten Happen formten und in Joghurt tunkten.
    »Köstlich, niemand kocht so gut wie du!« Darwish, der Schmeichler, wusste, wie er sich Basimas Gunst versicherte.

    »Allah segne dich, mein Sohn.« Sie grinste und schob ein zartes Stück Fleisch auf seine Seite des Reistabletts.
    »Und ich?«, protestierte Hasan.
    Darwish flüsterte seinem älteren Bruder neckend ins Ohr: »Du kannst nicht so gut mit Frauen.«
    »Hier bitte, Liebling.« Basima suchte einen Leckerbissen für Hasan heraus.
    Ohne das übliche Verweilen bei Halawa und Kaffee war die Mahlzeit schnell vorbei. Es gab noch eine Menge Arbeit. Basima hatte ihre großen Körbe gefüllt, damit die Helfer sie zur Olivenpresse tragen konnten. Beide Söhne mussten ihren Teil der Oliven noch am Tag der Ernte pressen, damit das Öl keinen ranzigen Geschmack annahm. Doch bevor es zurück an die Arbeit ging, wurde ein Gebet gesprochen.
    »Lasst uns Allah zuerst für seine Mildtätigkeit danken.« Yahya zog einen alten Koran aus der Tasche seiner Dishdasha. Das heilige Buch hatte seinem Großvater gehört, der die Haine vor ihm gehegt und gepflegt hatte. Obwohl Yahya nicht lesen konnte, betrachtete er gerne die hübsche Kalligrafie, während er Suren aus dem Gedächtnis rezitierte. Die Jungen verbeugten sich, lauschten ihrem Vater ungeduldig beim Herbeten der Koranverse und rannten den Hügel hinunter zur Presse, sobald er es ihnen erlaubt hatte.
    Basima wuchtete einen Korb mit Oliven auf den Kopf, nahm rechts und links jeweils eine Webtasche voller Speisen und übrig gebliebenen Nahrungsmitteln in die Hand und schritt mit anderen Frauen, die Krüge und Habseligkeiten kerzengerade auf dem Kopf balancierten, den Hügel hinab. »Allah sei mit dir, Umm Hasan«, rief Yahya seiner Frau zu.
    »Und mit dir, Abu Hasan«, antwortete sie. »Beeil dich.«
    Als er allein war, lehnte Yahya sich in die Brise, blies sanft in das Mundstück seiner Nai und spürte, wie aus den kleinen Löchern
unter seinen Fingerspitzen Musik drang. Sein Großvater hatte ihn gelehrt, wie man diese altehrwürdige Flöte spielte, und ihre Melodien gaben Yahya ein Gefühl der Verbundenheit mit seinen Ahnen, den zahllosen Ernten, dem Land, der Sonne, der Zeit, der Liebe und allem, was gut war. Wie immer zog Yahya beim ersten Ton die Brauen über seinen geschlossenen Augenlidern hoch, als wäre er immer wieder aufs Neue überrascht, wie seine einfache, handgeschnitzte Nai seinen Atem in etwas so Erhabenes verwandeln konnte.
    Ein paar Wochen nach der Ernte lud man auf Yahyas alten Lastwagen Öl, vorwiegend aber Mandeln, Feigen, eine bunte Mischung Zitrusfrüchte und Gemüse. Hasan platzierte die Trauben ganz oben, damit sie nicht zerquetscht wurden.
    »Ich verstehe nicht, weshalb du die ganze Strecke bis Jerusalem fahren willst«, sagte Yahya zu Hasan. »Tulkarem ist bloß ein paar Kilometer weit, und das Benzin ist teuer. Selbst Haifa ist näher, und
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