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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief
Autoren: Susan Abulhawa
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in beiden Orten ist der Markt genauso gut. Außerdem weißt du nie, welcher Hundesohn von Zionist sich in irgendeinem Gebüsch versteckt oder welcher britische Bastard dich anhalten wird. Wozu das Ganze?« Doch der Vater wusste schon, warum. »Du machst diese lange Fahrt, um dich mit Ari zu treffen?«
    »Ya abuya, ich habe ihm versprochen, dass ich komme«, antwortete Hasan. Ein flehentlicher Unterton lag in seiner Stimme.
    »Nun, du bist jetzt ein Mann. Pass auf dich auf! Sorg dafür, dass deine Tante bekommt, was sie braucht, und sag ihr, dass sie uns bald besuchen kommen soll«, erwiderte Yahya. Dann sagte er zu dem Fahrer, einem seiner Neffen: »Allah schütze dich, mein Sohn.«
    »Allah schenke dir ein langes Leben, Ammu Yahya.«

    Hasan küsste seinem Vater zuerst die Hand und dann die Stirn – Gesten der Ehrerbietung, die Yahya mit Liebe und Stolz erfüllten.
    »Allah schenke dir sein Lächeln und schütze dich, solange du lebst, mein Sohn«, sagte er, als Hasan hinten in den Lastwagen kletterte.
    Als sie anfuhren, galoppierte Darwish auf seinem geliebten Araber Ganush neben ihnen her. »Lass uns ausprobieren, wer schneller ist. Weil der Laster schwer beladen ist, gebe ich dir eine Stunde Vorsprung«, forderte er Hasan heraus.
    »Renn mit dem Wind um die Wette, Darwish. Er ist deinem Tempo eher gewachsen als diese alte Klapperkiste. Ich treffe dich dann in Jerusalem in Ammitu Salmas Haus.«
    Hasan sah seinen jüngeren Bruder auf dem ungesattelten Pferd davonfliegen, die Hatta, deren lose Enden nach dem Wind haschten, eng um den Kopf gewickelt. Darwish war kilometerweit, ja vielleicht sogar landesweit der beste Reiter, und Ganush war das schnellste Pferd, das Hasan je gesehen hatte.
    Neben der staubigen Straße erstreckte sich eine ruhige Waldlandschaft, verzaubert vom Duft nach Zitrusblüten und wilden Hennasträuchern. Hasan öffnete den Beutel, den seine Mutter ihm täglich füllte, brach ein Bröckchen ihrer klebrigen Mixtur ab und hielt es sich unter die Nase. Er atmete so tief ein, wie seine asthmatischen Lungen es zuließen. Sauerstoff strömte durch seine Adern, als er eines der geheimen Bücher öffnete, deren Studium Frau Perlstein, Aris Mutter, ihm aufgetragen hatte.

2
Ari Perlstein
    1941
    A ri wartete am Damaskustor, wo die Jungen sich vier Jahre zuvor zum ersten Mal getroffen hatten. Er war der Sohn eines deutschen Professors, der frühzeitig vor den Nazis geflohen war und sich in Jerusalem niedergelassen hatte. Dort hatte seine Familie ein kleines Haus von einem bekannten Palästinenser gemietet.
    Die beiden Jungen hatten sich 1937 auf dem Bab-Al-amud-Markt angefreundet, wo Hasan hinter Handkarren mit frischem Obst, Gemüse und verbeulten Ölkanistern gesessen und in einem arabischen Gedichtbuch gelesen hatte. Der kleine jüdische Junge mit den großen Augen und einem unsicheren Lächeln war auf Hasan zugegangen. Er hinkte – das Andenken an einen schlecht verheilten Beinbruch und an das Braunhemd, das dafür verantwortlich war. Er kaufte eine große rote Tomate, zog ein Taschenmesser hervor und zerteilte sie. Eine Hälfte behielt er, die andere bot er Hasan an.
    »Ana ismi Ari. Ari Perlstein«, sagte der Junge.
    Fasziniert nahm Hasan die Tomate.

    »Goo day sa! Schalom!« Hasan probierte es mit den einzigen nichtarabischen Wörtern, die er kannte, und gab dem Jungen ein Zeichen, sich zu setzen.
    Zwar konnte Ari ein paar Brocken Arabisch, doch keiner konnte die Sprache des anderen. Dennoch fanden sie in ihrem beiderseitigen Gefühl von Unzulänglichkeit schnell eine Gemeinsamkeit.
    »Ana ismi Hasan. Hasan Yahya Abulhija.«
    »Salam alaykum«, antwortete Ari. »Was für ein Buch liest du?«, fragte er auf Deutsch und wies auf das Buch.
    »Book.« Englisch. »Dis, book.«
    »Yes.« Englisch. »Kitab.« Buch, arabisch. »Ja.« Sie lachten und verspeisten ein weiteres Stück Tomate.
    So entstand im Schatten des europäischen Nazismus und trotz der wachsenden Kluft zwischen Arabern und Juden in Palästina eine Freundschaft, die sich dank jugendlicher Unschuld, dank des Rückzugs in die Literatur und eines Desinteresses an Politik vertiefte.
    Jahrzehnte nachdem der Krieg die beiden getrennt hatte, erzählte Hasan seinem jüngsten Kind, einem Mädchen namens Amal, von seinem Freund aus der Kindheit. »Er war wie ein Bruder«, sagte Hasan und klappte ein Buch zu, das Ari ihm geschenkt hatte, als ihre Kindheit zu Ende ging.
    Obwohl Hasan später zu einem Koloss heranwuchs, war er mit zwölf ein
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