Während die Welt schlief
das mit meinem Vater zu tun?«
Ich hörte Yussufs Stimme am Telefon, traurig, wütend, ohnmächtig, zwanzig Jahre aus der Vergangenheit kommend. »Dein Vater ist auf die gleiche Weise getötet worden. In der Nacht, bevor er Beirut verlassen wollte, um zu uns in die USA zu fliegen, hat Israel unser Haus bombardiert.« Jetzt war es meinem Herzen und meinen Lippen entwichen. Da war keine Wut, keine Verzweiflung mehr. Nur ein sanfter Schmerz. Eine Traurigkeit, in die ich mein Herz hüllen, in der ich es warm halten konnte.
»Oh, mein Gott!« Sara umarmte mich ganz fest.
»Ich habe die dreitausend Toten des 11. September beweint. Und dann habe ich Tränen um mein eigenes Schicksal vergossen, um das Schicksal einer einsamen Frau, der man nie die Ehre erwiesen hat, die man den Ehefrauen dieser Opfer zollte. Ich habe nie den Respekt bekommen, den sie für ihren Schmerz erhielten. Die Reden waren feierlich, ganz großartig. Geprägt von Emotion und Solidarität. Und auf der anderen Seite war ich und der Tod meines Mannes, den niemand interessierte. Ich nahm nur Verachtung für meinen Verlust wahr. Und das FBI war immer da, in jedem Winkel. Die Vergangenheit schwebte immer über mir. Und am 11. September wurde ich mit den letzten Augenblicken deines Vaters konfrontiert. In jeder Person, die zu springen versuchte, in jedem Körper, den man aus den Trümmern zog, sah ich ihn. Und ich sah mich selbst, wie ich vorher nie sein durfte, getröstet, verstanden und geliebt.«
Sara weinte. Ein Schuldgefühl überkam sie, weil sie über
mein Verhalten damals verärgert gewesen war. »Oh, Mom. Es tut mir so leid. Ich habe nicht die leiseste Ahnung gehabt. Ich war so taktlos. Ich hatte nichts verstanden.«
Ich schaute meine Tochter an und wusste, so wie ich weiß, dass die Sonne jeden Tag auf- und wieder untergeht, dass ich sie mit einer glühenden Leidenschaft liebte, die länger anhalten würde als die Zeit oder Gott.
»Psst, Habibti. Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Ich war keine gute Mutter. Ich hätte es dir sagen müssen. Wir hätten schon vor Jahren darüber sprechen sollen. Ich muss dich um Verzeihung bitten.«
Eine Unruhe, die von draußen kam, schreckte uns auf und riss Huda aus dem Schlaf. Plötzlich war ich wieder elf Jahre alt und hockte im Küchenbunker. Wir beteten, aneinandergeschmiegt. Mansur zeichnete. Wir warteten geduldig ab, überprüften unsere Papiere und unsere Ausweise. Wir ließen die Schuhe an, um startbereit zu sein. Von Zeit zu Zeit dehnten wir die Beine. Ein Krampf konnte tödlich sein. Wir trauten uns nicht aufzustehen, denn die Kugeln kamen vielleicht durchs Fenster geflogen. Aneinandergekuschelt im hintersten, innersten Winkel. Die Angst flog aus unseren Herzen wie ein kleiner Vogel. Tschilp. Tschilp.
Ich hatte Sara noch nie so verängstigt gesehen. Ihr Gesicht war leichenblass. Ich strich ihr das Haar aus der Stirn und küsste sie. Ich küsste ihre Wangen, um die Angst zu vertreiben. Bis es draußen wieder ruhig wurde.
Kugeln, Panzer und Hubschrauber gliederten sich wieder in ihre militärische Welt ein. Draußen kehrte Ruhe ein, und auch in uns. Nur gelegentlich ein Schrei, ein Ruf. Vielleicht sahen die Soldaten nach, was sie geleistet hatten. Eine Stille, die nur vom Zwitschern der unsichtbaren Vögel unterbrochen wurde.
Die Ruhe hatte jetzt schon eine Weile angedauert. Wir atmeten auf, pusteten die kleinen Vögel in eine Ecke zurück und begannen zu flüstern. Dann zu sprechen.
»War es Liebe auf den ersten Blick? Wann hast du dich in meinen Vater verliebt?«, wollte Sara von mir wissen. Ich konnte mich an keinen bestimmten Zeitpunkt erinnern. Ich hatte den Eindruck, Majid schon immer geliebt zu haben. Wie kann man denn den Beginn einer Liebe bestimmen? In welchem Moment wird der dunkle Nachthimmel blau?
»Ich weiß nicht, Habibti«, antwortete ich aufrichtig, aber ihr Gesichtsausdruck verlangte nach mehr. Nach einer Geschichte.
»Nun, er hat mich vom Flughafen abgeholt. Als wir im Lager angekommen waren, ist dein Vater aus seinem Fiat gestiegen und hat an die vielen Kinder, die sich um ihn versammelt hatten, Süßigkeiten verteilt. Das war wirklich ergreifend …« Die traurige Erinnerung an meinen Mann, an das Blau, an die Liebe und den Verlust wurde in mir wachgerufen. Tränen liefen mir über die Wange. Endlich rollten sie.
»Erzähl mir mehr, Mom.«
Die Ruhe hielt nicht an. Wir hörten weitere Explosionen und zeitweise Schüsse.
Der Terror, der um Hudas kleine Hütte herum
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