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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition)
Autoren: Albrecht Selge
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kennt. Wegen des Regens ist die Gestalt schnell die Treppe hinunter- und zur Tür hineingehuscht, aber kein Zweifel, das war Gabor Auer. Jetzt ist August doch befremdet. Da geht die Tür des Internetcafés schon wieder auf, Gabor Auer kommt heraus, geht hoch, läuft hektisch auf und ab, zieht das Portemonnaie aus dem Mantel, der ziemlich abgerissen aussieht, zählt Geld, steckt es wieder ein, wendet sich noch einmal zur Tür, will dann nach rechts gehen, dreht sich um und geht nach links. August verlässt hastig die Bäckerei, überquert im Laufschritt die Straße und folgt Gabor, der jetzt schnell geradeaus geht. Gabor Auer, das ist ja ein Ding, an den hatte er nie mehr gedacht, aber jetzt hat er ihn sofort erkannt. Drängendes Tempo legt Gabor vor, so schnell war er doch früher nicht, aber das ist ja ewig her. Die Straße ist voll, junge Männer in Gruppen, verschleierte Frauen mit Kinderwagen, doch Gabor weicht allen Blicken aus, schaut nichts und niemanden an, hält im Gehen den Kopf gesenkt. Plötzlich bleibt er abrupt stehen und starrt sekundenlang ins Schaufenster eines Billigladens; dann eilt er wieder los, an einer roten Ampel macht er nervös zwei Schritte nach links, zwei nach rechts, als müsse er dringend aufs Klo, oder er friert bloß, in dem dünnen Mantel. Vor einem Geschäft zögert er kurz, scheint hineinzuwollen, geht dann weiter, biegt ein paarmal ab, läuft blockweise fast zickzack, bis er durch eine Haustür verschwindet.
    August bleibt draußen stehen. Dieses Haus kennt er. Von der farblosen Fassade bröckelt der Putz ab, die Ladenflächen sind verrammelt, die Fenster der dritten Etage zugenagelt; es erinnert August an das Haus, in dem er zu Beginn seines Studiums gewohnt hat, das feuchte Loch, das jetzt zur Maisonette umgebaut wird. Aber er muss sich gar nicht so um die Ecke erinnern: Die abgeschabte Bude hier hat er vor ein paar Wochen gesehen, als er in dieser Gegend rumgelaufen ist, auch die Klingelschilder hat er schon gelesen. Er liest sie wieder, aber auf keinem steht Auer. Die Tür ist nicht abgeschlossen, August geht hinein, den Hausflur kennt er nicht, drinnen ist er noch nicht gewesen. Nur an wenigen Briefkästen stehen Namen, doch nicht Auer. August steigt, ohne Licht zu machen, die Treppe hoch, auf dem Boden liegen Zigarettenkippen und Asche, es riecht nach Braunkohle. Die meisten Wohnungen scheinen leer zu stehen, nur durch wenige Türritzen dringt Licht ins Treppenhaus. Auch vor den Wohnungstüren findet August kaum Namen und keinen Auer. Er schleicht hoch bis zum Dachboden, der von einer schweren, verrosteten Feuerschutztür versperrt ist, dann kehrt er um.
    Unten, neben der Treppe, führt ein schmaler Flur zu einer klapprigen Tür ohne Schloss. Der Hinterhof ist eng, fast ein Schacht, hier riecht es noch stärker nach Braunkohle, die Wände werfen das Gurren von unsichtbaren Tauben umher, Laute aus unbestimmbarer Richtung, als fielen sie von oben in den Schacht. Neben der klapprigen Tür stehen zwei überquellende Mülltonnen, der Hof ist vollgerümpelt mit Abfalltüten und dunklem Sperrmüll; auf drei Seiten umschließen ihn kahle Wände, nur rechts fünf Etagen Fensterreihen, aber nirgends brennt Licht. Dieses Quergebäude wirkt noch baufälliger als das Vorderhaus, darin kann niemand wohnen. Trotzdem geht August hinein und horcht ins Treppenhaus: kein Ton. Mit dem Handydisplay leuchtet er sich den Weg, sucht die Wände neben den Türen ab, aber es gibt keine Klingeln und keine Namensschilder. Als seine Augen sich an die Finsternis gewöhnt haben, erkennt er, dass in den Treppenhauslampen die Glühbirnen fehlen, aus ihnen ragen nur nackte Gewinde. Da kommt ihm der Gedanke, dass Gabor vielleicht heimlich auf dem Dachboden haust, und er geht bis ganz nach oben; und tatsächlich gibt es hier keine Feuertür. August betritt den Boden, der voll Staub und Dreck und herausgebrochener Bretter ist und zu Augusts Schrecken an einer Seite offen: Eine komplette Wand fehlt, nur dicke verkohlte Balken ragen aus der Mauer, irgendwann muss es einen Brand gegeben haben, jetzt laufen die Wände auf ein großes Loch zu. Da ist er in etwas getreten: Taubenfedern, Hautfetzen mit Haaren, Knöchelchen, Fleischklümpchen, das Gewölle klebt ihm an den Schuhen, hier scheint irgendein Greifvogel zu hausen, aber von einem Menschen keine Spur. Als er wieder hinuntergeht, stellt August sich vor, Gabor habe sich dort oben in einen Uhu verwandelt und sei fortgeflogen. Da, im Erdgeschoss, leuchtet ihm der
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