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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark
Autoren: Gabriele Keiser
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vor einiger Zeit hatte sich sein
Charakter vollkommen verwandelt. Ihn hatte es hart getroffen, als ein von ihm
und seinem Kollegenteam unter Bewachung stehender Straftäter nur drei Tage,
nachdem die Einstellung der Observation angeordnet worden war, einen weiteren
Mord begangen hatte. Der Fall hatte großes Aufsehen erregt. Der sensible,
nachdenkliche Kommissar hatte sich quasi über Nacht in einen Zyniker
verwandelt, der eine undurchdringliche Mauer um sich gezogen hatte und
bisweilen Unerträgliches von sich gab. Seitdem hieß er nur noch Brocken. Ganz
böse Zungen nannten ihn auch Kotzbrocken.
    »Konkret
geht es, wie Sie wissen, um Johann Lomack«, fuhr Osterkorn fort. Lomack war ein
Mehrfachtäter, der sich wiederholt an Kindern vergangen hatte. Fast 20 Jahre
seines Lebens hatte er mit nur kurzen Unterbrechungen hinter Gittern verbracht.
Zuletzt wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt. Eine Sicherungsverwahrung
wurde nachträglich angeordnet. In einem der zahlreichen Gutachten, die über ihn
verfasst wurden, hatte es geheißen, er sei ein Mann mit Bedürfnis nach Nähe und
Geborgenheit, aber in besonderen Krisen weise seine Sexualität deviante Anteile
und Impulse auf. In einer weiteren Beurteilung wurde die Behauptung
aufgestellt, dass die Frage nach einer medizinisch definierten sexuellen
Perversion zu verneinen sei – was nicht nur viele der Anwesenden infrage
stellten.
    »Jetzt
sieht er seine große Chance und hat einen Eilantrag gestellt. Wenn der Richter
im Sinne des Straßburger Urteils entscheidet, kommt Lomack schon in den
nächsten Tagen frei«, fuhr Osterkorn fort.
    »Wie
das ausgeht, kann sich jeder an fünf Fingern abzählen«, schnaubte Brock. »Alle
wissen es, und wenn’s dann wieder passiert, schreien sie auf.«
    »Das
ist die Reaktion der Presse auf ähnliche Fälle!« Osterkorn schlug mit der
flachen Hand auf die Zeitung vor sich. »Und es handelt sich hier um ein
seriöses Blatt. Was die mit den großen Buchstaben schreiben, brauch ich Ihnen nicht
im Einzelnen darzulegen.«
    »Das
heißt, wir werden gezwungen, einen Straftäter auf die Menschheit loszulassen,
obwohl man davon ausgehen kann, dass er weiterhin eine Gefahr für die
Bevölkerung darstellt«, stellte Clarissa fest. Es wirkte, als könne sie nicht
glauben, was sie da eben gehört hatte.
    »Man
kann es zumindest nicht ausschließen.« Hinterhuber strich sich die dunklen
Locken aus der Stirn. »In der Tat werden wir uns die Frage gefallen lassen
müssen, was daran gerecht sein soll.«
    »Der
kriegt auch noch eine Entschädigung dafür, dass er so lang angeblich zu Unrecht
im Gefängnis gesessen hat«, stieß Brock hervor. »Ein Schlag ins Gesicht eines
jeden Opfers und dessen Familie. Und das nennt man dann juristisch korrekt. Ich
frag mich wirklich, wo wir hier eigentlich leben.«
    Franca
lag einiges auf der Zunge, doch sie hielt sich mit Kommentaren zurück, nicht
zuletzt deswegen, weil ihre krächzende Stimme den Ernst der Aussage
wahrscheinlich etwas herabgemindert hätte. Auch sie hielt das Straßburger
Urteil für äußerst problematisch. Menschen wie Lomack waren nun mal am besten
hinter Gittern aufgehoben, wo sie kein weiteres Unheil anrichten konnten, auch
wenn die Sicherungsverwahrung erst nachträglich angeordnet worden war.
    »Wir
müssen mit den Gegebenheiten umgehen, ob wir wollen oder nicht.« Mit
undurchdringlicher Miene schob Osterkorn die vor ihm liegenden Blätter zu einem
Stapel zusammen. »Vielleicht tun wir Lomack ja Unrecht. Seine Sozialprognosen
gelten als gut.«
    »Vielleicht
kommt der Papst in die Hölle«, murmelte Roger Brock.
    Der
Chef konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Auch das liegt nicht in unserer
Hand.«
    »Ich
sage euch, der Lomack schnappt sich das nächste Kind, sobald sich die
Gelegenheit bietet. Dazu braucht man kein Hellseher zu sein. Ich kenn doch
diese Typen«, trumpfte Brock auf. Franca blätterte in Lomacks Aktenkopien, die
vor ihr auf dem Tisch lagen. Ein Foto zeigte ihn als rundlichen Mann mit
angegrauten, schütteren Haaren, der erstaunt in die Welt blickte und aussah,
als ob er keiner Fliege was zuleide tun könne. Immer wieder hatte er sich
Mädchen genähert, Kindern im Alter zwischen neun und zwölf Jahren, hatte sie
mit einem Messer bedroht und gezwungen, sich auszuziehen, um sich danach an
ihnen zu vergehen. Ein Druck tief in seinem Inneren sei daran schuld, dem er
sich hilflos ausgesetzt sehe, hatte er behauptet.
    »Ich
habe mir die Akte genau angesehen«, äußerte
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