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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark
Autoren: Gabriele Keiser
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aktuellem Anlass hatte der Chef zu einer
außerordentlichen Sitzung im Besprechungszimmer des Kriminalkommissariats 11 im
Koblenzer Präsidium am Moselring gebeten.
    »Schön,
dass Sie alle gekommen sind.« Anton Osterkorn nickte in die Runde. Als sein
Blick die Kriminalhauptkommissarin Franca Mazzari streifte, hellte sich seine
Miene um eine kleine Nuance auf. Sie hatte seit Tagen eine heftige Erkältung,
erschien aber tapfer auf ihrer Dienststelle. Inzwischen brachte sie kaum noch
einen Ton heraus, allenfalls ein rostiges Quietschen, und war derart heiser,
dass ihre Tochter Georgina sich zu der Bemerkung veranlasst gesehen hatte , sie
habe eine Stimme wie eine Puffmutter. Halsbonbons halfen nur wenig. Ebenso das
abendliche Gurgeln mit frisch gebrühtem Salbeitee.
    Anton
Osterkorn nahm die getönte Hornbrille ab und rieb sich die Nasenwurzel.
    »Lassen
Sie mich gleich zur Sache kommen: Dass das Gesetz zur nachträglich verhängten
Sicherungsverwahrung eine einzige Flickschusterei ist, brauche ich Ihnen nicht
zu erklären. Insofern war es überfällig, dass der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung infrage
stellte. Freiheitsentzug kann nun mal nicht nach einem Gesetz verlängert
werden, das zum Zeitpunkt des ersten Urteils noch nicht in Kraft war.«
    »Der
Chef klingt wie ein Anwalt, der mit allen Mitteln seinen Mandanten verteidigt«,
raunte Clarissa Franca zu. Die ehemalige Praktikantin hatte inzwischen ihr
Studium mit Bestnoten beendet und war als Jungkommissarin ins Koblenzer
Präsidium zurückgekehrt.
    »Wollen
Sie damit sagen, dass die Straßburger Richter mit diesem Urteil mehr
Rechtssicherheit geschaffen haben?«, fragte Francas jüngerer Team-Kollege
Bernhard Hinterhuber.
    Osterkorn
nickte nachdrücklich. »Im Kern beruft man sich doch auf den römischen
Rechtsgrundsatz ›nulla poena sine lege‹: Keine Strafe ohne Gesetz, was
zweifellos eine tragende Säule unseres Rechtsstaates ist, verankert in Artikel
103 des Grundgesetzes, wie Sie alle wissen.«
    Unter
den Anwesenden brach Gemurmel aus.
    Der
Chef hob beschwichtigend die Hände. »Dennoch ist es nicht von der Hand zu
weisen, dass wir seither mit einer Reihe von zusätzlichen Problemen
konfrontiert wurden – und noch konfrontiert werden«, räumte Osterkorn ein.
    Davon
konnte jeder der Anwesenden ein Lied singen. Der allgemein grassierende
Sparwahn, der auch vor der Polizei nicht haltmachte, bescherte sowieso schon
eine Menge zusätzlicher Probleme. Deshalb fanden viele, dass das Straßburger
Urteil allem die Krone aufsetzte.
    »›Freiheitsorientiertes
und therapiegerichtetes Gesamtkonzept‹ nennt man das«, merkte Hinterhuber an.
»Klingt eigentlich nicht schlecht. Doch viele Kollegen fragen sich, ob nicht
aus Straßburg die falschen Signale gesetzt werden. Ich meine, zu Recht.«
    »Das
Urteil ist bindend für uns, das wissen Sie«, wandte Osterkorn ein. »Und wir
müssen damit umgehen.«
    »Daher
weht der Wind«, flüsterte Clarissa. »Auch Chefs müssen Kompromisse machen.
Warum gibt er das denn nicht zu?«
    Franca
wandte den Blick und betrachtete die junge Kollegin. Clarissa war wie immer top
gestylt, neu war ein Piercing unterhalb der Lippen. Sie trug ein eng
anliegendes rotes T-Shirt, das so gar nicht mit dem grellen Hennaton ihrer
frisch gefärbten Haare harmonierte.
    »Das
heißt doch nichts anderes, als dass die Rechte dieser Verbrecher über die
Sicherheitsinteressen der Bevölkerung gestellt werden. Es ist zum Kotzen«, gab
Roger Brock, einer der jüngeren Kommissare, seiner Verärgerung Ausdruck. »Das
Grundrecht auf Freiheit wird verletzt, dass ich nicht lache. Die so was
festschreiben, sind doch alles Schreibtischhengste, die von der Realität
überhaupt keine Ahnung haben. Ich möchte mal sehen, wie die reagieren würden,
wenn in ihre Nachbarschaft ein entlassener Sexualstraftäter einzieht, dem ihre
Kinder tagtäglich begegnen müssen. Aber es ist ja alles Recht und Gesetz!« Mit
einer heftigen Geste warf er seinen Stift auf den Schreibtisch, der
weiterrollte und auf den Boden fiel.
    Clarissa
bückte sich, hob ihn auf und legte ihn mit einem nachsichtigen Lächeln wieder
auf seinen Platz. Allen war bewusst, warum Brock besonders empfindlich auf das
angesprochene Thema reagierte.
    Roger
Brock, der gerade mal die geforderte Mindestgröße maß und schmal war wie ein
Handtuch, wurde von den Kollegen früher Bröckchen genannt. Bröckchen war
umgänglich, jedermann mochte ihn. Doch
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