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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark
Autoren: Gabriele Keiser
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von der magischen Schnur.
    »Das
ist ganz einfach, wenn man weiß, wie es geht. Ein Zaubertrick. Wenn du magst,
zeig ich ihn dir.«
    Er
schaute sie lange ohne zu blinzeln an. In dem Moment, als er den Glanz in den
Kinderaugen sah, wusste er, dass er gewonnen hatte. Eine Tür war aufgestoßen.
In seinem Innern vibrierte und flimmerte es. Er fühlte sich erhaben.
Unverwundbar. Über den Dingen stehend. Keine Konsequenzen bedenkend. Und keine
Strafe fürchtend.

6
     
    Sie hörte die Haustür ins
Schloss fallen und sprang sofort auf. »Rainer!« Andrea lief ihrem Mann entgegen
und umarmte ihn heftig.
    »Ist
was passiert?« Erstaunt hielt er sie ein Stück von sich weg und forschte in
ihren Gesichtszügen.
    »Ich
hab so lang auf dich gewartet.« Andrea lächelte ihren Mann liebevoll an. Sein
immer noch volles braunes Haar fiel ihm etwas eigenwillig in die zerfurchte
Stirn. Wenn sie ihn so vor sich sah, erfüllte sie dies mit einem innigen,
warmen Gefühl, auch noch nach all den gemeinsam verlebten Jahren. Als Teenager
hatten sie sich kennengelernt, und vom ersten Augenblick an hatte sie gewusst,
dass sie füreinander bestimmt waren. Zwar hatte ihre Liebe eine Wandlung im Lauf
der Jahre erfahren, aber das warme Gefühl für ihn war immer noch da, ebenso wie
die Gewissheit, dass sie sich absolut auf ihn verlassen konnte.
    »Es
ging leider nicht früher. Ich musste mich noch ein wenig um Frau Sichtermann
kümmern.«
    »Frau
Sichtermann?« Sie konnte sich nicht an eine Frau dieses Namens erinnern.
    Er
nickte. »Die kommt einfach nicht drüber weg, dass ihr Mann nicht mehr ist. Ich
habe versucht, ihr klarzumachen, dass Trauer ihre Zeit braucht, offenbar hat
sie niemanden zum Reden.«
    Jetzt
fiel es ihr wieder ein. Helmut Sichtermann war plötzlich an einem Herzinfarkt
gestorben, aber das war bereits ein paar Wochen her. Ja, Rainer war ein guter
Pfarrer und Seelsorger, beliebt in seiner Gemeinde. Er kam sofort, wenn man ihn
rief. Das wurde leider manchmal auch ein wenig ausgenutzt.
    »Ihr
Mann hat sich um alles gekümmert, und jetzt steht sie da und weiß noch nicht
mal, wie man den Videorekorder bedient. Geschweige denn, wie die Finanzen
geregelt sind. Sie ist vollkommen hilflos.« Rainer hängte seine Jacke auf einen
Bügel in der Garderobe.
    »Und du
musstest ihr zeigen, wie man einen Videorekorder bedient?« Andrea konnte sich
die kleine spöttische Bemerkung nicht verkneifen.
    Er
winkte ab. »Du weißt doch, wie das ist. Da kommt eins zum anderen, und wie
schnell ist dann eine Stunde um.«
    »Du
wirst aber doch zugeben, dass sie an ihrer Misere auch ein bisschen selbst
schuld ist«, wandte Andrea ein.
    »Das
ist eben eine andere Generation. Gerade für die wird die Welt immer
unverständlicher. Wer da nicht mithalten kann bei dem vorgegebenen Tempo, der
fühlt sich schnell verloren. Ich bin sicher, es kommt noch einiges auf uns zu.
Da braucht man kein Wahrsager zu sein. – Aber was ist denn nun so wichtig?«
    »Setzen
wir uns doch auf die Terrasse und essen erst mal was«, erwiderte Andrea.
    Sie
hatte eine Honigmelone aufgeschnitten und die Scheiben mit gekochtem Schinken
belegt. Abends bevorzugten sie beide leichte Gerichte. Besonders an warmen
Tagen.
    »Hm,
das sieht aber lecker aus«, sagte er. »Gibt’s auch Wein?«
    »Ich
hab einen Mosel-Riesling kalt gestellt.«
    Er ging
in die Küche, nahm den Wein aus dem Kühlschrank, entkorkte ihn und goss ihn in
die bereitstehenden Gläser.
    Nach
dem Tischgebet stießen sie miteinander an und begannen zu essen.
    Andrea
war gespannt auf Rainers Meinung. Er war ein aufrichtiger Mann, das hatte ihr
von jeher an ihm gefallen. Nicht unfehlbar, dazu war er viel zu sehr Mensch.
Aber einer, der seinen Beruf und Gottes Gebote ernst nahm, und der zu seinen
Fehlern stand. Einmal, da waren sie noch nicht verheiratet gewesen, hatte er
eine andere Frau geküsst. Andrea hatte ihm angemerkt, dass ihn etwas belastete,
bis er es schließlich kleinlaut gestand. Danach hatte er erleichtert gewirkt.
    Als
klar war, dass sie keine eigenen Kinder haben konnten, war es für ihn selbstverständlich,
dass sie ein Kind adoptieren würden. Nie wäre ihm eingefallen, ihr die Schuld
zuzuweisen. Die Dinge waren eben so, das musste man annehmen. Das war seine
Einstellung. Gott hatte es so gewollt. Sein Glaube war sein Fundament. Halt
fand er im Gebet.
    Seine
Predigten waren keine üblichen Sonntagsreden. Zumindest nicht in ihren Augen.
Oftmals besprachen sie gemeinsam mögliche Themen. Ihr gefiel, dass er
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