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Vulkanpark

Vulkanpark

Titel: Vulkanpark
Autoren: Gabriele Keiser
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Ein Grüppchen – zu gefährlich. Er fuhr im Schritttempo weiter. Bog in
eine Seitenstraße ein.
    Die
Vision, die so lang in seinem Hinterkopf geschlummert hatte, wurde immer
konkreter. Verschiedene Varianten spielte er durch. Nicht die übliche Masche
würde er anwenden, das war zu banal. Er brauchte die Herausforderung. Ob er
verlor oder gewann, war allein seiner Geschicklichkeit zuzuschreiben. Sein
Handwerkszeug hatte er dabei. In einem Plastikbeutel, versteckt unter dem
Ersatzreifenset. Schließlich konnte man nie wissen, welche Gelegenheit sich
ergab. Dann war er gerüstet.
    Einmalhandschuhe,
Heftpflaster, Kondome, Schere, Kabelbinder, Kerzen, Streichhölzer, eine Rolle
mit schwarzen reißfesten Mülltüten, all das war im Plastikbeutel verstaut. Aber
das Wichtigste war ein Jagdmesser mit Horngriff, das er seinem Vater einst
entwendet hatte. Dieses Messer hatte sein Vater dem Wild in den Hals gestoßen.
»Die Hauptschlagader musst du treffen«, hatte er dem Sohn erklärt. Der Vater
wollte einen richtigen Mann aus ihm machen. Einer, der keine Angst vorm Töten
hat.
    In
einem weiteren Beutel befanden sich neben seinen Zaubererutensilien ein
künstlicher Schnurrbart, eine auffällige Brille mit dunklem Gestell, Kamm und
Haargel. Dies alles lag griffbereit auf dem Beifahrersitz.
    Langsam
fuhr er die Straße entlang. Sein Auto war völlig unauffällig. Darauf hatte er
beim Kauf geachtet. Ein dunkler Kleinwagen wie Tausende andere auf Deutschlands
Straßen.
    Da sah
er das Mädchen. Ein Junge wäre ihm lieber gewesen. Aber das war in diesem
Moment egal. Das Mädchen hatte genau die richtige Größe. Es war nicht zu alt.
Nicht zu jung. Ihr Gang, ihre Haltung sagten ihm, dass sie völlig arglos war.
Dass sie ein leichtes Opfer sein würde.
    Seine
Hände zitterten ein wenig vor Erregung. Das Hämmern in seinem Kopf wurde
unerträglich. Jetzt nur nichts falsch machen. Sich nicht die Chance verspielen!
Er sah sich um. Die Straße war menschenleer. Da war niemand, der etwas
beobachten könnte. Schnell nahm er die Verwandlung an sich vor. Als er sich im
Innenspiegel betrachtete, hätte er selbst Mühe gehabt, sich zu erkennen.
    Nun
galt es, schönzutun. Vorzugaukeln. In dem Alter können sie kaum unterscheiden,
ob einer nett ist oder nur so tut. Das nutzte er für seine Zwecke. Er fuhr ein
Stück weiter. Parkte das Auto am Straßenrand. Stieg aus. Ging dem Mädchen
langsam entgegen. Guckte sich vorsichtig um. War da wirklich keiner, der ihn
beobachtete? Offensichtlich nicht.
    Aufkeimende
Gewissensbisse unterdrückte er, noch bevor sie an der Oberfläche angelangt
waren. Etwas Faszinierendes in ihm übernahm die Führung. Das lenkte seine
Gedanken, seine Hände, seine Schritte. Wie ferngesteuert ging er auf das
Mädchen zu. Im Kopf ein schmerzhaftes, aber äußerst erregendes Pochen.
    Er
musste sehr vorsichtig sein. Jetzt, da die Erfüllung seines lang gehegten
Wunsches so spürbar nah war. Seine Nasenflügel bebten. Höchste Konzentration
war vonnöten. Alles andere um ihn herum war unwichtig geworden. Er blieb vor
dem Mädchen stehen. Lächelte. Sie lächelte scheu zurück.
    »Sieh
mal«, sagte er und zog nacheinander das blaue, das rote, das weiße Tuch aus
seinem Ärmel hervor. Ließ die Tücher wieder verschwinden. Das Mädchen schaute
gebannt.
    »Hast
du so was schon mal gesehen?«
    Er
pulte spielerisch dem Kind einen Tennisball aus der Nase. Dabei berührte er mit
väterlichem Gestus für Sekundenbruchteile ihren nackten Arm.
    Das
Mädchen lachte. »Du bist ja ein Zauberer.«
    »Genau.
Und du bist eine ganz Schlaue, was?«
    Das
Kind blickte verlegen. Seine Wangen verfärbten sich.
    »In
meinem Auto habe ich noch mehr Zaubersachen«, sagte er schnell. »Aber du kommst
bestimmt nicht mit, oder?«
    Die
Kleine schüttelte den Kopf.
    »Weil
deine Eltern dir verboten haben, mit fremden Männern ins Auto zu kommen,
stimmt’s?« Er lachte und zog ein glattes weißes Seil hervor. »Deine Eltern
haben natürlich recht. Weißt du, ich hab auch Kinder. Und das sag ich ihnen
dauernd: dass sie ja nicht zu fremden Männern ins Auto einsteigen dürfen. Weil
das gefährlich ist.«
    Mit
kleinen Schritten ging er auf seinen Wagen zu, blieb hin und wieder stehen,
dabei machte er Knoten in die Schnur. Fünf an der Zahl. Er vergewisserte sich,
dass sie zuschaute, dann zog er ruckartig daran. Sofort war das Seil wieder glatt.
Die Knoten waren verschwunden. Das Mädchen war ihm langsam gefolgt. Nun blieb
sie stehen und ließ den Blick nicht
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