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VT10 - Tod im Blut

VT10 - Tod im Blut

Titel: VT10 - Tod im Blut
Autoren: Claudia Kern und Stephanie Seidel
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betrat, prallte er würgend zurück, mit Tränen in den Augen. Beißender Gestank kam aus dem Dunkel, eine elende Mischung aus ammoniakdurchsetztem Urin und faulendem Woormfleisch.
    Das riesige Arbeitstier steckte noch in seinem Halfter.
    Zumindest das, was von dem riesigen Tier übrig war.
    Fleggenschwärme flogen mit empörtem Summen auf, als Ngomane widerwillig näher trat.
    Auch der Maelwoorm hatte ein Loch im Schädel. Seine Haut hing in Fetzen herunter, von Maden bevölkert, die Innereien waren größtenteils weggefault.
    Etwas bewegte sich hinter Ngomane. Er fuhr herum, die schwere Machete mit ihm, und nur sein schnelles Reaktionsvermögen rettete den vermuteten Gegner vor dem sicheren Tod: Ngomane riss im letzter Augenblick den Arm hoch. Die Klinge traf nur Luft, das Kind blieb unversehrt.
    Es war ein Mädchen; fünf, sechs Jahre alt, mager wie ein Strich und unglaublich verdreckt. An den Außenseiten der Oberschenkel klebten vertrocknete Fäkalien, Stroh und eine platt gedrückte, fette Made. Anscheinend hauste das Kind in der Box des Maelwoorms.
    »Wer bist du?«, fragte Ngomane. Statt einer Antwort warf sich die Kleine herum. Sie wollte fliehen, doch das erlaubte er nicht. Seine Linke schnellte vor, und noch ehe der losgelassene Speer zu Boden klirrte, hatte Ngomane das Mädchen gepackt und zog sie herum.
    »Ich bin Ngomane, Fürst der Banzulu aus kwaBulawayo«, sagte er streng. »Haben dich deine Eltern keinen Respekt gelehrt?«
    »Doch«, piepste das Mädchen scheu und verbarg die Augen hinter dem Handrücken.
    »Dann sieh mich an! Wer bist du?«
    »Nandi.« Sie hielt ihren Kopf gesenkt, so weit es nur möglich war, ohne den Blickkontakt abzubrechen.
    »Nandi.« Ngomane nickte gedankenvoll, während er vor dem Mädchen in die Hocke ging. »Ein guter Name!«
    Sacht legte er die Machete auf den Boden. Dann fasste er nach den kleinen Händen und fragte: »Was ist hier passiert, Nandi?«
    Sie erzählte es ihm. Stockend, mit leiser Stimme und dem Blick zutiefst verletzter Kinderseelen. Leer, wie auf eine andere Welt gerichtet. Eine Welt, in der es keine unheimlichen Fremden gab. Männer, so groß und so hässlich. Sie waren gewaltsam in die Hütte eingedrungen, hatten den Vater erschlagen, die Mutter. Weißes Zeug hatten sie ihnen aus dem Kopf geholt, und es aufgegessen. Das Baby hatten sie aus dem Wiegentuch geholt, das unter der Decke hing. Und den kleinen Bruder. Er hatte so geweint.
    Ngomane musste Nandi loslassen. Seine Hände ballten sich immer wieder wie von selbst zu Fäusten, und er wollte dem Kind nicht wehtun. Es erzählte ihm, dass es in den Stall geflohen war. Als die Hirnfresser kamen, war Nandi unter das Stroh gekrochen, auf dem der Maelwoorm bereits seit Längerem stand. Der Geruch des Tieres hatte den des Mädchens überdeckt. So war sie den Monstern entgangen.
    »Das ist Wochen her! Wovon hast du so lange gelebt?«, fragte Ngomane. Nandi wollte schon antworten, da hob er warnend die Hand. »Schsch!«
    Irgendwo fern war ein Dauergeräusch entstanden, das rasch anschwoll. Es klang wie Steppenbrand; allerdings lag unter dem hellen, unablässigen Knistern ein dumpfer Ton.
    Ahnungsvoll stand Ngomane auf und ging zur Stalltür. Man konnte die Felder von hier aus sehen. Keine Flamme fraß an ihnen, nicht die Kleinste. Über den Feldern aber, dicht an den Ähren, schwebte eine Wolke. Grau und blickdicht. Sie kam rasend schnell näher.
    »Die Frakken!« Ngomane rannte in den Stall zurück, schlug die Tür zu. Er sah sich hastig um. Womit konnte er sie verrammeln? Nutzlos: In den Holzwänden klafften überall Spalten! Er lief zu dem Mädchen, legte ihm die Hände auf die Schultern. »Gibt es eine sichere Hütte?«
    Nandi schüttelte den Kopf. »Die sind alle kaputt!«
    Verflucht! Schweiß glitzerte auf Ngomanes Stirn. Fieberhaft suchte der Banzulu-Fürst nach einer Antwort auf die Frage: Wo konnte er sich mit Nandi verstecken? Ihm blieben nur Minuten. Draußen nahten Milliarden zarter Schwingen, trugen die Frakken mit knisterndem Flügelschlag nach Südosten. Sie waren auf ihrem Hochzeitsflug, ausgehungerte Allesfresser, denen es letztlich egal war, was sie zernagten. Ob Korn oder Menschenfleisch, beides machte satt.
    »Wir brauchen einen Unterschlupf, Nandi!«, sagte Ngomane nervös. Wo sollte er nur hin? Unter den faulenden Maelwoorm? Nein, zwecklos. Der würde schon bald nicht mehr existieren. Er nicht, und auch die Maden nicht. Ngomane ging erneut zur Tür, lugte durch einen Spalt. Da waren sie
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