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VT01 - Eine Wunde in der Erde

VT01 - Eine Wunde in der Erde

Titel: VT01 - Eine Wunde in der Erde
Autoren: Michael M. Thurner
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es zum Mund und zerteilte es mit einem Biss.
    Irgendwann einmal, so erinnerte er sich, hatte er »Zähne« im Mund besessen. Heute waren es bloß noch Fleisch und Splitter.
    Die langen Fühler seiner Nahrung zappelten noch etwas nach. Es scherte ihn nicht. Sobald das Tier durch den Hals in den Magen gerutscht war, hörten die Bewegungen auf.
    Warum war er aus seinem dumpfen Halbschlaf gerissen worden?
    Normalerweise ruhte er, aß ein wenig, leckte an feuchten Wänden, wanderte umher, legte sich wieder nieder. Doch irgendetwas musste sich seit seinem letzten Wachsein geändert haben.
    Die Nahrung tat ihm gut, sie half ihm beim Denken. Er benötigte mehr davon.
    Er kam auf die Beine. Mit tastenden Händen fuhr er über Spinnweben und der darin eingelegten Brut. Bedenkenlos ballte er das feine Gespinst zusammen und schob es sich in den Mund, bevor er den Raum verließ.
    Wohin sollte er gehen?
    Sein Instinkt sagte ihm, wo sich der Essensraum befand. Er kannte die Schrittfolge, war sie tausendmal gegangen. Links, rechts, links, links, treppab, rechts. Das quietschende Tor öffnen, an einem der grässlich hellen Räume vorbei. Ins halbdunkle Rund, in dessen Zentrum sich ein riesiger Tank befand.
    Er war voll mit Nahrung. Mit herrlichen, köstlichen, sich noch bewegenden Dingen.
    Würmer hießen sie, ganz genau. Große, fette, weiche Würmchen. So dick, dass man sie nicht einmal in den weit aufgerissenen Mund stopfen konnte, sondern sie zerbeißen und zerkauen musste.
    Sie schrien nicht, während man sie verzehrte. Wanden sich höchstens in wilden, verzweifelten Fluchtbewegungen und sonderten eine klebrige Flüssigkeit über ihr Unterteil ab. Man musste sie vom Leib der Nahrung abwischen, bevor man neuerlich zubiss.
    Er stapfte auf den Tank zu, kratzte mit den Nägeln über das Glas. Das Geräusch schreckte die Wurmzucht, brachte sie dazu, vor ihm weg zu kriechen und in der gegenüberliegenden Ecke nach Schutz zu suchen.
    Man hatte ihm gesagt, wie die Essensausgabe funktionierte. Er betätigte einen Hebel. Ein Teil der Ecke klappte nach unten. Ein Wurm, Sand und Kot rutschten in eine große Schaufel. Er reinigte das Tier mit ein paar Tropfen Wasser aus einem beistehenden Behälter.
    Er streichelte über seine Beute, schnüffelte an ihr und leckte den sich windenden Wurm ab. Er schmeckte nach… nach …
    »Hunger!«, flüsterte eine Stimme, so dünn wie Papier.
    Er drehte sich um und blickte in den Widerschein jenes stärkeren Lichts, das aus dem Gang in den Nahrungsraum abstrahlte. Im Türrahmen stand ein Anderer .
    Er kam hereingewankt, streckte die Arme begehrend aus. In seinen weit aufgerissenen Augen glitzerte die Gier. Der Andere zeigte Hunger, so wie er.
    Weitere Gestalten strömten herbei. Fünf waren es schließlich insgesamt. Sie alle bedienten sich mit ungelenken Handgriffen am Nahrungstank.
    Er zog sich in eine Ecke der Halle zurück und biss in den Wurm. Flüssigkeit tropfte zwischen seinen Fingern zu Boden. Die Nahrung schmeckte gut. Sie erzeugte ein wohliges Gefühl im Bauch, und sie brachte seine Lebensgeister in Schwung.
    Seit langer Zeit habe ich keinen Anderen mehr zu Gesicht bekommen, dachte er benommen. Etwas Besonderes muss geschehen sein…
    ***
    »Es ist der Umsicht des Tripings Nabuu zu verdanken, dass ein Gutteil der Maas-Ernte geschützt und schlussendlich eingebracht werden konnte«, sagte die alte Fakalusa mit zittriger Stimme. Sie hob den knorrigen Amtsstab, Zeichen ihrer Würde, weit über den Kopf. »Zhulu und Kinga hingegen müssen wir unsere Anerkennung dafür aussprechen, dass sie ihr Leben dafür riskierten, gemeinsam mit ihren Maelwoorms den Maas noch vor Beginn des Sturms umzumähen. Wir alle wissen, dass ihr riskanter Plan beinahe schief gegangen wäre. Andere an ihrer Stelle hätten die Nerven – und wohl auch ihr Leben verloren. Sie hingegen schafften es mit Hilfe der Götter, rettendes Land zu erreichen.«
    Die Städter stießen ihre Versammlungsstäbe kräftig in den Sand der großen Hütte. Die der Frauen waren schwarz und gebeizt; an den Enden klingelten feine Glöckchen. Jene der Männer waren krumm und je nach Alter des Besitzers mit feinen Beschlägen und silbernen Ziselierungen versehen. Wenn ihre Metallspitzen gegen Stein prallten, entstanden oft Funken, die weithin spritzten.
    »Es sind auch Opfer zu beklagen«, fuhr die Dorfoberste Fakalusa fort. »Drei Witwen sitzen unten am Feuerplatz und greinen um ihre Männer. Die Stadt wird in Zukunft für ihr Auskommen sorgen und
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