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VT01 - Eine Wunde in der Erde

VT01 - Eine Wunde in der Erde

Titel: VT01 - Eine Wunde in der Erde
Autoren: Michael M. Thurner
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nachdenklich – und traurig.
    »Zhulu musste ihn töten«, antwortete der Jüngere bedächtig. »Er war in Panik geraten; sein Nervensystem kollabierte. Er krachte immer und immer wieder gegen die Absperrungen. Du hast ihn… zuschanden geritten.«
    Kinga wollte aufstehen, dem Freund sagen, dass er sich irren musste. Er hatte den Maelwoorms gegenüber stets die notwendige Härte gezeigt und die scharfen metallenen Gebisse ohne mit der Wimper zu zucken bis ans Limit angezogen, wenn es notwendig war – doch er hatte seine Grenzen gekannt.
    Nun, so schien es, hatte er sie übertreten.
    »Was sagt Zhulu?«
    »Gar nichts. Er hat seitdem nicht mehr über deinen Ritt gesprochen.«
    » Seitdem? Wie lange war ich bewusstlos?«
    »Zwanzig Tage. Wie ich bereits sagte: Der Drittwoorm hat dich fürchterlich zugerichtet.«
    Serienweise Rippenbrüche. Gehirnerschütterung. Zwei Fingerglieder abgetrennt. Ein gebrochener Kiefer, beide Schultern ausgerenkt, ein verdrehtes Kniegelenk, ein Bruch des linken Sprunggelenks, dutzende Riss- und Quetschwunden, Abschürfungen, Verbrennungen…
    »Vietsge, die Apothekerin, hat dich Tag und Nacht mit ihrer geheimen Kräutermixtur behandelt und dich die Extrakte von Faselkraut einatmen lassen, damit du nicht aufwachst und die Schmerzen spürst. Gestern meinte sie dann, dass du so weit wärst, aus dem Halbreich zurückgerufen zu werden.«
    »Ausgerechnet die abergläubische alte Hexe habt ihr an mich rangelassen?« Kinga schlürfte mit einem breiten Strohrohr einen heißen Trank aus einer Holzschüssel. Er musste flach atmen, um den Schmerz so weit wie möglich von sich fern zu halten.
    »Sie ist vielleicht etwas merkwürdig«, entgegnete Nabuu, »aber sie hat ihre Qualitäten.«
    Ja. Die besaß sie zweifelsohne. Sie hatte mehr als einen Krieger zusammengeflickt, von dem man geglaubt hatte, dass er niemals wieder auf die Beine kommen würde.
    »Ich möchte so rasch wie möglich mit dem Training fortfahren.« Angewidert schob Kinga den Topf mit der freien Hand, der Linken, beiseite.
    »Da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden!«, kam eine Stimme vom Eingang her.
    Kinga zuckte zusammen. »Zhulu – es freut mich, dass du mich besuchen kommst.«
    »Du solltest dich nicht zu früh freuen.« Mit einer herrischen Bewegung scheuchte er Nabuu aus der Rundhütte, zog dann einen Stuhl heran und setzte sich ans Ende von Kingas Liegestatt. In einem unangenehm großen Abstand. Als widerte ihn die Gesellschaft des jungen Kriegers an.
    »Ich möchte mich für meine Fehler entschuldigen«, sagte Kinga und schluckte hart. Es schmerzte ihn, sich an die Sekunden und Minuten des Ritts zu erinnern. »Ich war wie von Sinnen; ich wollte nicht glauben, dass ich die Kontrolle über den Drittwoorm verloren hätte…«
    »Schweig!« Zhulu spannte die breiten Muskelbänder seines Nackens im Zorn an und fletschte die Zähne. So wie er es tat, wenn er die ersten Trainingsstunden mit einem jungen Maelwoorm verbrachte und ihm zeigen musste, wer der Herr war. »Ich habe dir mehr als einmal gesagt, dass dich dein Leichtsinn und deine Halsstarrigkeit eines Tages in Probleme bringen werden, Kinga«, fuhr der Quarting schließlich fort. »Nicht nur, dass du dein eigenes Leben riskiert hast; du hast darüber hinaus das dir anvertraute Tier in den Wahnsinn getrieben und die Trainingsarbeit von mehreren Jahren zunichte gemacht.«
    Zhulu stand auf, marschierte unruhig in der Hütte auf und ab.
    »Die Bändigung eines Maelwoorms erfordert Geschick, Geduld und unendliche Mühen. Die Arbeit kostet mich meine Gesundheit. Ich zähle keine vierzig Sommer, und doch fühle ich bereits Schmerz in meinen Knochen. Jeden Tag verbringe ich unzählige Reitstunden auf den Zuchttieren, schinde mich, verbiege mir den Rücken. Aber ich mache es gerne und ohne mich zu beschweren. Ich tue es, weil es zum Besten unserer Heimatstadt Kilmalie ist. Und du machst Monate, Jahre meiner Arbeit mit einer einzigen unüberlegten Handlung zunichte.«
    Kinga überlegte, was er sagen sollte. Was er sagen konnte , denn der Quarting hatte Recht. Er hatte unverantwortlich gehandelt. Hatte seine Grenzen falsch eingeschätzt.
    »Was wird nun aus mir?«, fragte er leise, fast ängstlich. »Wirst du mich wieder an die Tiere ranlassen?«
    Zhulu seufzte tief. »Ich weiß es nicht. Du und Nabuu – ihr seid die besten Reiter, die ich jemals ausbildete. Ich hoffte, dass einer von euch eines Tages meine Nachfolge antreten würde…« Er verstummte, sein Blick ging ins Leere.
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