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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Charles Wilson
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sie.
    »Sie kommen von weit her und suchen ein Zuhause. Können sie auf Wolkenhafen bleiben?«
    Sie lächelte. »Ich bin sicher, die beiden werden sich bei uns wohlfühlen. Wenn Sie mehr über unsere Welt wissen möchten, ich habe Ihrem externen Gedächtnis Archivmaterial über jede Gemeinde zur Verfügung gestellt. Beurteilen Sie selbst, was wir für Menschen sind.«
    Ein Wimpernschlag, und ich hatte Zugang zu dem Material. Ich war einigermaßen zufrieden, behielt es aber für mich.
    »Sie kommen selbst von weit her, Isaac Dvali«, sagte sie. »Warum wollen Sie nicht auch bleiben?«
    »Danke für das Angebot«, sagte ich. »Aber nein.«
    Sie zog eine krause Stirn. »Sie sind ein einmaliges Individuum.«
    »Zu einmalig, um diese Stadt zu verlassen.« Und dann rekapitulierte ich, was sie längst wusste: dass ich ohne Vox-Core nur ein sabberndes Häufchen Elend war, weil ein viel zu großer Teil meines Bewusstseins in den Prozessoren des Coryphaeus lag.
    »Wir könnten das Problem angehen«, sagte sie zuversichtlich. Die Menschheit habe einiges über die Natur der Hypothetischen gelernt. Die Gemeinden von Wolkenhafen seien dabei, im Arbeitsspeicher der lokalen hypothetischen Netzwerke virtuelle Kolonien einzurichten, und die Kolonisten gehörten vornehmlich zu den Älteren und Gebrechlichen, die nichts lieber täten, als ihre physischen Körper aufzugeben – ob das nichts für mich sei.
    »Ich bin ganz glücklich hier.«
    »So ganz allein?«
    »Allein, ja.«
    »Begreifen Sie, zu was Sie sich da verurteilen? Zu Isolationshaft auf Ewigkeit – oder bis Ihr Ich erodiert und chaotisch wird.«
    »Dagegen kann ich Vorsorge treffen.«
    Ich wusste genau, dass sie mir das nicht abnahm. »Was wollen Sie überhaupt tun? Bis ans Ende aller Zeiten durch die Galaxis treiben?«
    Wie eine Flasche im Meer.
    »Vor langer Zeit«, sagte ich, »besaß mein Vater eine Bibliothek aus richtigen Büchern. Ein Autor, den ich damals las, hieß Rabelais. Als Rabelais im Sterben lag, sagte er: Je m’en vais chercher un grand peut-être. – Ich gehe auf die Suche nach einem großen Vielleicht. «
    »Aber er fand nichts weiter als den Tod.«
    Ich lächelte. »Peut-être.«
    Sie lächelte zurück, obwohl ich ihr vermutlich leidtat.
    Ich sagte den beiden Lebewohl. Allison bekniete mich, ich solle doch das Angebot der Botschafterin annehmen und bleiben, leibhaftig oder nicht. Sie weinte, als ich mich weigerte, doch ich ließ mich nicht erweichen. Ich wollte keine andere Inkarnation. Auch diese hatte ich nicht gewollt.
    Turk blieb noch, als Allison aus dem Zimmer ging. »Warum ausgerechnet wir, Isaac?«, sagte er. »Ich frage mich manchmal, was dahintersteckt, dass ausgerechnet uns das alles passiert. Es kommt mir alles so seltsam vor. So etwas passiert doch anderen nicht, oder?«
    »Eher nicht«, erwiderte ich. Aber da stecke nichts dahinter. Alles habe so oder anders geschehen können. »Es gibt unzählige Möglichkeiten. Dass wir es sind, ist reiner Zufall.«
    »Meinst du, du findest am Ende eine Antwort? Etwas, das dem Ganzen einen Sinn gibt?«
    »Ich weiß es nicht.« Peut-être. »Alle fallen. Alle landen irgendwo.«
    »Du hast eine lange Reise vor dir.«
    »Sie wird mir nicht so vorkommen. Ich reise mit wenig Gepäck.«
    »Jeder trägt das Seine«, sagte Turk Findley.
    Ich sperrte die Stadt in ihre Blase aus Zeit und borgte mir Sonnenlicht zur Beschleunigung. Vox-Core schwang sich über die Umlaufbahn des äußersten Planeten in die interstellare Leere hinaus und ließ Wolkenhafen weit, weit hinter sich. Aus meiner Sicht dauerte das einen Wimpernschlag; während die Uhren der Stadt um eine Sekunde vorrückten, verging »draußen« ein Jahrhundert.
    Ich hatte kein Ziel. Die willkürlichen Annäherungsversuche massiver Sterne zerrten an den Vektoren meiner Flugbahn, die bald dem Weg eines Betrunkenen glich. Ich griff nur noch ein, um Hindernissen auszuweichen.
    Im sterblichen Körper von Isaac Dvali streifte ich ziellos durch die Stadtstufen und Passagen von Vox-Core. Die Stadt folgte ihrem täglichen Rhythmus, regulierte ihre Atmosphäre, pflegte ihre menschenleeren Parks und Gärten. Ich kam an Wartungsrobotern vorbei, die durch öffentliche Passagen rollten – Stahlmönche, die zur Frühandacht eilten. Sie waren humanoid, hatten aber keinerlei moralische Kompetenz, sodass ich dem unvernünftigen Drang, sie anzusprechen, widerstand.
    Den Zyklus von Tag und Nacht beizubehalten, war ein sinnloser Anachronismus, aber mein physischer Körper
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