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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Charles Wilson
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verlangte danach. Tagsüber genoss ich das künstliche Sonnenlicht, abends las ich uralte Bücher, die ich mir aus den voxischen Archiven kopierte, oder zum wiederholten Mal die handgeschriebenen Memoiren, die Turk und Allison mir überlassen hatten.
    Nachts, wenn mein Körper schlief, dehnte ich mein Bewusstsein auf ganz Vox-Core aus. Ich modellierte die alternde Galaxis und markierte meinen Aufenthaltsort. Ich zapfte Rinnsale von Information an, die aus dem unendlich komplexen Geflecht der hypothetischen Ökologie sickerten. Sterne, die eben noch jung gewesen waren, verheizten ihren nuklearen Brennstoff und verwelkten zu gärender Glut – Braunen Zwergen, Neutronensternen und Singularitäten in ihren bodenlosen Gräbern. Verglichen mit dem Zeitfluss im äußeren Universum, war mein Bewusstsein träge. Vermutlich hätten mich so die Hypothetischen gesehen, wenn sie ein einendes Bewusstsein gehabt hätten.
    Signale, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzten, eilten so rasch von Stern zu Stern, wie in meinem sterblichen Hirn die Neuronen miteinander kommunizierten. Allmählich nahm ich die Galaxis als Ganzes wahr, nicht nur als eine Ansammlung stellarer Oasen, die Lichtjahre voneinander entfernt waren. Hypothetische Netzwerke durchsetzten sie wie Hyphenpilze einen faulenden Baumstamm. Mit meinen Nachtaugen sah ich diese Aktivität als buntes Geflecht aus farbigen Lichtfäden, das eine komplexe und für menschliche Augen unsichtbare galaktische Struktur verriet. Blühende Weltenringe traten hervor wie geschlossene Ketten von Kohlenstoffatomen in einem organischen Molekül. Uralte, abgestorbene Ringe schimmerten wie bleiche Gespenster, während die Maschinen der Hypothetischen, die sich daran angelagert hatten, aus Mangel an Ressourcen eingingen oder sich in nahe gelegene stellare Brutstätten retteten.
    Die Galaxis lebte und pulsierte vor Erschöpfung und Erneuerung. Neue Technologien und Energiequellen wurden entdeckt, ausgebeutet, miteinander geteilt.
    Und während das Universum alterte und sich ausdehnte, näherten sich andere Galaxien unaufhaltsam den Grenzen der Wahrnehmbarkeit. Aber selbst diese vagen, fernen Strukturen zeigten ein verborgenes Eigenleben; Streusignale legten nahe, dass sie ihre ureigenen hypothetischen Netzwerke entwickelt hatten. Sie sangen wie unverständliche Stimmen aus der Finsternis, die immer leiser wurden.
    Es war unausweichlich, dass ich meinen sterblichen Körper eines Tages aufgeben und nur noch in den Coryphaeus-Prozessoren und in der hypothetischen Nano-Wolke rings um Vox-Core leben würde. Aber ich wollte mich auch weiterhin physisch in der Stadt bewegen können. Und so – während mein biologischer Körper in einem selbst induzierten Koma lag und verhungern durfte – besorgte ich mir einen langlebigen Ersatz: einen humanoiden Roboter, den ich zum Träger meines Bewusstseins machte. Als das erledigt war, sammelte ich mit meinen anorganischen Armen meine leblose organische Hülle ein und trug sie zu einer Recyclinganlage, um die wertvollen Proteine in die geschlossenen biochemischen Schleifen von Vox-Core zu speisen. Ich empfand keine Reue und keine Trauer, wozu auch? Ich war, was ich geworden war. Das verderbliche Fleisch, in dem die Botschaft meines Ichs zu den Sternen gereist war, die alte somatische, von Haut umschlossene Galaxis verfütterte ich nur zu gerne an die Wälder der Stadt.
    Vox-Core war jedoch kein völlig autarkes System. Ich musste in Sternnebeln nach Spurenelementen fischen, um zu ersetzen, was nicht recycelt werden konnte. Auf lange Sicht war die Stadt natürlich so sterblich wie jede baryonische Materie, daran änderte auch ihre temporale Schutzmauer nichts. Es war nur eine Frage der Zeit.
    Ich liebäugelte mit dem Ende.
    Vox-Core trat in einen lang gezogenen elliptischen Orbit um den galaktischen Kern. Ich teilte mein Bewusstsein in winzige Momente der Wahrnehmung ein, die durch lange passive Perioden getrennt waren, sodass die erlebte Zeit rascher verging, selbst in der temporalen Blase, die Vox-Core umschloss.
    Entropie – in Form zerbrochener chemischer Verbindungen, irreparabler Systemfehler oder radioaktiven Zerfalls – nagte an den lebenswichtigen Organen der Stadt. Trockenfäule und Dürre dünnten die Wälder aus, und Schutt häufte sich auf den Gehwegen. Wartungsroboter blieben liegen, weil sie ihrerseits nicht gewartet wurden. Die Regulatoren der Atmosphäre – die Lungen der Stadt – rangen nach Luft und versagten ihren Dienst. Für
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