Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Charles Wilson
Vom Netzwerk:
der lokalen Raumkrümmung. Einige Stunden später kreuzten wir bereits die Umlaufbahnen von Uranus und Neptun.
    Turk und Allison zeigten sich wissbegierig. Ich hätte ihnen zu gerne gezeigt, wo wir waren – unmittelbar, meine ich –, doch es war unmöglich, aus dem Inneren der Kugel nach außen zu blicken; das äußere Universum wäre für menschliche Augen eine buchstäblich blendende Kaskade blau verschobener Energie gewesen, in der selbst die längsten elektromagnetischen Wellen todbringend komprimiert waren. Aber ich konnte in regelmäßigen Abständen Stichproben dieser Kaskade nehmen und sie auf sichtbare Wellenlängen herunterrechnen, um eine Serie repräsentativer Bilder zu erstellen. Ich kompilierte die Sequenz und zeigte sie den beiden in ihrem Haus. Sie waren tief beeindruckt, aber alles andere als glücklich. Die Sonne ein glimmender Funke in der Schwärze des Alls, die Erde unsichtbar am Rand der Heliosphäre. Sterne zogen vorüber, weil Vox-Core träge rotierte – eine Restbewegung, die ich nicht korrigiert hatte. »Ich fühle mich so einsam«, sagte Allison leise.
    Auf Außenstehende hätten wir paradox gewirkt: ein Ereignishorizont ohne Schwarzes Loch, eine lichtlose Blase, aus der nichts entwich als gelegentlich ein Hauch von Strahlung.
    Tatsächlich war die Barriere, die uns umschloss, viel komplexer als ein natürlicher Ereignishorizont. Es gab kein menschliches Vokabular, um zu beschreiben, wie sie funktionierte, auch wenn ich Turk zur Antwort gab, es handle sich bei der Kugel sowohl um eine Barriere als auch um einen Schlauch, durch den ich in Kontakt mit den Hypothetischen blieb. Und weil für uns die Jahre zu Sekunden wurden, bekam ich ein Gefühl für die uralten Rhythmen galaktischer Ökologie: die Leerstellen aufgegebener oder sterbender Sterne, die strahlenden, von den Hypothetischen gehegten und gepflegten Weltenringe (von denen uns nur einer vertraut war), die fieberhafte Aktivität, die neugeborene Sterne und debütierende, biologisch aktive Planeten umgab.
    Dies alles geschah ohne Seele, ohne Handlungsfähigkeit , es folgte nur dem blinden Impuls von Reproduktion und Auslese, so schön, aber auch so trostlos wie die Wüste. Die Ökologie der Hypothetischen würde unerbittlich weiterschäumen, bis jedes schwere Element abgefischt, jede erreichbare Energiequelle erschöpft war. Wenn der letzte Stern erlosch, würden die Maschinen der Hypothetischen die Gravitationsquellen uralter Singularitäten abbauen. Und wenn diese Singularitäten verschwanden und das Universum dunkel und leer war … nun, dann würden vermutlich auch die Hypothetischen sterben. Und das, ohne sich zu beschweren. Niemand würde um sie trauern, und niemand würde erben, was sie hinterließen.
    Ich vergaß immer öfter, mich um die Bedürfnisse meines organischen Körpers zu kümmern. Ich lebte in den Quantenprozessoren im Herzen von Vox-Core und zunehmend auch in der Wolke aus hypothetischen Nanomaschinen, in deren Mitte wir durchs All fielen.
    Ich kam nicht umhin, mich der Frage zu stellen, was aus mir werden würde, wenn sich Turk und Allison eines Tages von mir trennten.
    Allisons Namensschwester hatte zweifellos einen Hang zum Schreiben gehabt. Schwer zu sagen, ob Allison ihn geerbt oder sich zu Eigen gemacht hatte. Ich entdeckte jedenfalls, dass sie alles, was sie zwischen der äquatorianischen Wüste und der voxischen Apokalypse erlebt hatte, in gestochener Druckschrift auf blütenweißes Papier schrieb. Als ich sie fragte, für wen sie das alles aufschrieb, zuckte sie mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Für mich vermutlich. Oder als Flaschenpost.«
    Spielte sie auf Vox-Core an? Eine Flasche, weitab vom Ufer auf den Wellen treibend, das Glas grün gebrannt vom Licht der tausend Sonnen, und in ihr die Botschaft von Fleisch und Blut?
    Ich redete ihr zu, weiterzuschreiben, und ich lernte jede Seite auswendig, die sie mir zeigte – das heißt, ich speicherte sie in jedem Speicher ab, der mir zur Verfügung stand, nicht nur in meinem sterblichen Gehirn, auch in den Prozessoren des Coryphaeus und den archivierenden Entitäten der Wolke, die uns begleitete. Eines fernen Tages würden diese Worte vielleicht das Einzige sein, was von Allison übrig war.
    Ich schlug Turk vor, das Gleiche zu tun wie Allison, aber er sah keinen Sinn darin. Also begnügte ich mich mit Gesprächen. Ich schickte meinen sterblichen Leib in ihr Haus, und wir saßen zusammen und unterhielten uns, manchmal stundenlang. Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher