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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Charles Wilson
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wusste natürlich, was der Coryphaeus über Turk in Erfahrung gebracht hatte, also auch das, was er Oscar über den Mann erzählt hatte, der im Lagerhaus verbrannt war – sodass Turk bedenkenlos reden konnte.
    »Ich versuchte herauszufinden, wer dieser Orrin Mather gewesen war«, erzählte Turk. »Er war von Geburt an nicht ganz richtig im Kopf. Er lebte bei seiner älteren Schwester in North Carolina. War ständig in Prügeleien verwickelt, trank und ging schließlich von zu Hause fort, Richtung Westen. Er überfiel ein paar Läden, um an Geld zu kommen, und einmal schoss er einen Menschen krankenhausreif. Er war kein Heiliger – weiß Gott nicht. Aber nichts davon wusste ich, als passierte, was passiert ist. Er war einfach nur jemand, der von Anfang an schlechte Karten gehabt hatte. Andere Umstände – anderer Mensch.«
    Was natürlich auf jeden von uns zutraf.
    Ich versprach Turk, alles, was er über Orrin Mather und Vox-Core aufschreiben würde, sicher zu bewahren – zusammen mit Allisons Erinnerungen –, so lange jedenfalls, wie Vox und die hypothetische Ökologie existierten.
    »Und wozu der ganze Aufwand?«
    »Für dich und mich und Allison.«
    Er sagte, er würde darüber nachdenken.
    Diese beiden Menschen, Allison und Turk, waren meine Freunde. Sie waren die einzigen richtigen Freunde, die ich jemals gehabt hatte, und es tat mir weh, sie zurückzulassen. Ich wollte etwas von ihnen behalten – etwas, das ich immer bei mir tragen konnte.
    Die hypothetische Ökologie war ein Wald, üppig und unbeseelt – aber nicht unbewohnt. Man könnte sagen, dass es darin spukte.
    Den Verdacht hegte ich schon lange. Ich war nicht der erste Mensch, der auf das Gedächtnis der Hypothetischen zugriff, auch wenn mein Fall einzigartig war. In den Jahren, bevor die bionormative Bewegung solche Experimente unterdrückte, hatten die Marsianer sporadisch dasselbe versucht. Der erste Mensch auf der Erde, dem der Zugang gelungen war, war Jason Lawton gewesen: Er hatte seinen eigenen Tod überlebt, indem er ungenutzten Arbeitsspeicher der Hypothetischen besiedelt hatte – und vielleicht lebte er dort noch immer. Aber seine Handlungsfähigkeit war äußerst eingeschränkt gewesen – oder war es noch. (Ist das nicht die perfekte Definition für ein Phänomen, das man landläufig Gespenst nennt?)
    Und vor uns hatten auch viele nichtmenschliche Zivilisationen den Weg in den Wald gefunden, jede auf ihre Weise. Sie überdauerten dort, lange nachdem sich ihre physische Repräsentanz aufgelöst hatte. Ich konnte sie nur ahnen, so gut tarnten sie ihre Aktivität; sie taten alles, um nicht von den hypothetischen Wirtsnetzen identifiziert und gelöscht zu werden. Sie existierten als Cluster operativer Information – als virtuelle Welten innerhalb der Daten sammelnden Protokolle des galaktischen Ökosystems.
    Ich spürte ihre Anwesenheit, konnte aber nicht viel mehr ausmachen. Der Inhalt ihrer Cluster war fraktal aufgeteilt und undurchdringlich komplex. Doch es gab dort echte Handlungsfähigkeit – nicht nur Bewusstsein, sondern wohlüberlegte Aktivität, die es auf externe Systeme abgesehen hatte.
    Also war ich nicht allein. Auch wenn diese virtuellen Aliens so gut abgeschottet waren, dass ich keine Chance sah, sie zu kontaktieren; auch wenn sie so alt und fremdartig waren, dass ich wahrscheinlich nichts von dem verstanden hätte, was sie mir anvertraut hätten – ich war nicht allein.
    Seit unserer ersten Unterhaltung war fast ein Jahr vergangen, als Turk mir kommentarlos einen Stoß Papier übergab: seine Erlebnisse auf Vox. ( Mein Name ist Turk Findley, und das habe ich erlebt, nachdem alles, was ich kannte und liebte, vergangen war … ) Ich bedankte mich mit angemessenem Ernst und verlor kein Wort mehr darüber.
    Wir näherten uns einer Sonne, um die ein Planet des Weltenrings kreiste. Ich verlangsamte Vox-Core, indem ich unsere kinetische Energie in die Energiequellen des Systems lud (die Temperatur des Sterns stieg nur unmerklich an), und fuhr den Zeitunterschied zwischen uns und dem externen Universum rapide herunter. Als wir die Umlaufbahn des äußersten Planeten passierten, zeigte ich Turk und Allison eine Momentaufnahme: die Sonne mit einer noch kaum wahrnehmbaren Scheibe, knapp an einem kalten Gasriesen vorbeigesehen, der seine Bahn weit außerhalb der bewohnbaren Zone zog. Tief in diesem Sonnensystem, aber noch zu weit weg, um mehr als ein punktgroßer Reflex zu sein, kreiste der Planet, den seine menschlichen Bewohner in
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