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Vorstandssitzung im Paradies

Vorstandssitzung im Paradies

Titel: Vorstandssitzung im Paradies
Autoren: Arto Paasilinna
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an. Der Hunger setzte allen Leuten mächtig zu. Vollkommen entkräftet wankten sie durch den Sand, kauten auf bitteren Wurzeln herum und spuckten gereizt die Fasern aus.
    Mein Frühstück bestand aus einigen Schluck Wasser, warm, wie immer, jedenfalls nicht zum Gurgeln geeignet. Die Frauen waren am Strand mit der Morgenwäsche beschäftigt. Sie kämmten sich, betrachteten sich im Spiegel. Viele hatten, außer ihrem eigenen Leben, auch ihre Handtasche gerettet, Puder legten sie trotzdem nicht auf. Das Meerwasser hatte vermutlich den Inhalt der Dosen unbrauchbar gemacht.
    »Schrecklich, ich habe meine Tage, und sämtliche Sachen sind verdorben«, hörte ich ein junges Mädchen klagen.
    Das Beil und der Dolch waren die ganze Nacht im Einsatz gewesen. Das Ergebnis war, in Anbetracht der Umstände, erfreulich: Wir hatten zwei lange Ruder und ein kürzeres Paddel hergestellt. Die Ruder waren je drei, das Paddel anderthalb Meter lang. Das Beil war ziemlich abgestumpft, ebenso all jene, die damit gearbeitet hatten.
    In die Besatzung des Rettungsfloßes wurden Doktor Vanninen, zwei Waldarbeiter und Flugkapitän Taylor gewählt. Letzterer erzählte, dass er in Aden zur Welt gekommen sei, wo seine Eltern gelebt hatten, als die Briten zum Schutz des Suez ihre Luftwaffe im Ort stationiert hatten.
    »In Aden habe ich schwimmen gelernt«, sagte er. »Mein Vater war Garnisonschampion, obwohl er ein kurzes Bein hatte. Er sagte immer, dass das beim Schwimmen von Vorteil ist, weil man besser die Richtung halten kann.«
    Das Gummifloß wurde unter allgemeiner Anteilnahme ins Meer gestoßen. Die Besatzung bekam viele gute Wünsche mit auf den Weg.
    So fuhren diese vier vom Hunger gezeichneten Helden aufs Meer hinaus, sie ruderten gleichmäßig, kämpften unverdrossen gegen die Wellen an.
    Ich muss wohl nicht extra sagen, dass unser aller Herzen mit den vier Männern waren. Wir wünschten, dass das Schicksal ihnen gnädig sei, und, falls das nicht möglich sein sollte, es wenigstens das Gummifloß wieder ans Ufer zurückbringen möge, denn es war unser wertvollster Besitz.
    Die schwarze Hebamme hatte eine Liste der Überlebenden des Flugzeugunglücks angefertigt. Sie hatte unsere Anzahl als eine Art Verpflegungsstärke auf einem Zellstofftaschentuch notiert, es war ihr nämlich wie durch ein Wunder gelungen, mehrere davon trocken zu retten. Das Verzeichnis sah in seiner Gesamtheit folgendermaßen aus:
    14 schwedische Krankenschwestern 10 finnische Hebammen
    2 norwegische Ärzte
    1 finnischer Arzt
    1 englischer Pilot
    1 englischer Steward
    2 englische Stewardessen
    2 englische Copiloten
    10 finnische Waldarbeiter
    2 finnische Mechaniker
    2 finnische Forstmeister
    1 finnischer Journalist
    Insgesamt 26 Frauen
    22 Männer bzw. 48 Personen
    Zwei Passagiere waren ums Leben gekommen. Krank waren sieben, und ich mit meinen gebrochenen Rippen war der achte. Ich fühlte mich zwar schon besser, aber der Hunger setzte mir zu.
    Wir standen mit der schwarzen Hebamme am Ufer und beobachteten das Gummifloß, das auf dem Meer schaukelte. Die Ruderer hatten es schon bis dicht an die Riffe geschafft. Die schwarze Hebamme sagte: »Oh, wenn ihnen nur nichts zustößt!«

5
    Das ganze Lager starrte gebannt aufs Meer. Das Floß stoppte, und einer der Männer stand auf und entledigte sich seiner Kleidung. Dann tauchte er in die Wellen, und die anderen hielten das Floß an Ort und Stelle.
    Der Taucher blieb eine Weile weg und kletterte dann wieder auf das Floß. Nun zog sich ein anderer Mann aus und tauchte ins Wasser. So ging es lange Zeit weiter. Wir waren schon ganz geblendet davon, ständig aufs Meer zu starren.
    Der norwegische Arzt Kristiansen unterhielt sich mit den schwedischen Krankenschwestern.
    »Vor sechs Jahren, bei einem meiner Besuche zu Hause in Narvik, fand dort im Fjord ein Kanurennen statt. Der Fjord ist tief und lang, und wir verfolgten das Rennen vom Hang des Berges, die Entfernung war ungefähr die gleiche wie hier. Acht Mannschaften und fast dreißig Kanus nahmen teil. Das Kanu, das in Führung lag, stoppte plötzlich, und die anderen fuhren vorbei. Der Mann in dem Kanu stand auf und zog sich nackt aus. Dann tauchte er ins Wasser, und sein Kanu schaukelte in der Bahn vor sich hin. Der Mann blieb lange weg, und die Leute dachten schon, er taucht gar nicht wieder auf. Man hatte bereits ein Rettungsboot losgeschickt, da kam der Mann wieder an die Oberfläche, er schwamm zu seinem Kanu, stieg ein und paddelte schnell weiter. Er war weit
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