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Vorsaison

Vorsaison

Titel: Vorsaison
Autoren: Kristine Weitzels
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ich ihm noch schnell, dass ich meinen Freund mittlerweile
verlassen hätte und nun bei einer Freundin wohnte. Alles andere erzählte ich
ihm jedoch nicht.
     
    Nach meinem Telefonat mit Ernie
buchte ich jedenfalls für Anfang Januar 1984 ein Ticket für den sogenannten Europabus
nach Lloret de Mar. Dies war damals die kostengünstigste Methode zu reisen,
wenngleich die Fahrt im Europabus oft über 24 Stunden dauerte, weil dieser Bus
jede größere Stadt auf der Strecke zwischen Deutschland und Katalonien anfuhr.
Im Hotel hatte ich noch nichts von meinen Plänen erzählt, die Woche Urlaub aber
problemlos bekommen. Januar war auch dort Saure-Gurken-Zeit und daher war meine
Chefin ganz froh, dass ich nun Urlaub nahm. Nach meiner Rückkehr aus Lloret,
würde ich aber auch unbedingt mit ihr reden müssen und hatte deshalb schon ein
schlechtes Gewissen. Was Sonja anbelangte, so konnte ich ihr jedenfalls nicht
genug danken und zahlte ihr 35 DM pro Woche, die ich bei ihr wohnte. Was ich jedoch
tun würde, sollte ich im Januar keinen Job in Lloret finden, daran wollte ich
erst einmal nicht denken, sondern hoffte einfach auf das Beste.
     
    Sonja hatte jedenfalls kein Problem
damit, dass ich so lange noch bei ihr wohnte. Im Gegenteil, sie freute sich
über die Gesellschaft und ich merkte auch sehr schnell, dass meine Kusine und
sie offensichtlich gar nicht so gut befreundet waren, wie ich immer angenommen
hatte. Sonja sehnte sich nach einer festen Beziehung und zumindest das hatte
sie mit meiner Kusine gemeinsam. Doch scheinbar war das keiner von beiden
vergönnt, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen: Sonja war zurückhaltend
und etwas unscheinbar. Meine Kusine hingegen war extrem oberflächlich und meiner
Ansicht nach auch nicht sonderlich intelligent. Während meine Kusine jedoch
zumindest genug Avancen bekam, auch wenn keiner dieser Männer scheinbar je
ernste Absichten hegte, so wurde Sonja zumeist glatt übersehen oder nicht
wahrgenommen — vor allen Dingen, wenn sie mit meiner Kusine ausging, die immer
im Mittelpunkt stehen musste.
     
    Weil ich Geld brauchte, fing ich im
Dezember 1983 an, zusätzlich noch vier Abende in der Woche in einer Discothek
zu bedienen — der Discothek, in der ich auch die Reise gewonnen hatte. Dort
traf ich auch Babs wieder, die ich noch von der Grundschule her kannte. Sie
hatte im Nachbardorf gewohnt und früher waren wir mal eine Zeitlang befreundet
gewesen. Doch dann war Babs in der vierten Klasse sitzengeblieben und wir
verloren uns aus den Augen. Aber ich erinnerte mich noch sehr gut daran, wie
religiös ihre Eltern gewesen waren und Babs selbst im Hochsommer Röcke tragen
musste, die ihre Knie bedeckten. Und jeden Sonntag hatte sie früher zusammen
mit ihren Eltern den Gottesdienst besuchen müssen. Als ich dies Babs gegenüber
erwähnte, lachte sie gequält und meinte, dies sei auch heute noch nicht viel anders.
Babs erzählte, sie wohne immer noch zu Hause und eigentlich verlangten ihre
Eltern auch immer noch von ihr, dass sie jeden Sonntagsmorgen brav zur Kirche
ginge. Solange sie die Füße unter den Tisch ihres Vaters setze, habe sie zu
tun, was er befehle, sagte sie dazu und versuchte dabei ihrer Stimme einen
dunklen und befehlsmäßigen Ton zu geben. Mir fiel wieder ein, dass Babs ja auch
noch zwei wesentlich ältere Brüder gehabt hatte. Sie war wohl so etwas wie ein
Nachzügler gewesen und ihre Eltern sollten mittlerweile im pensionsfähigen
Alter sein.
     
    Babs kam jeden Freitag- und jeden
Samstagabend in die Discothek und war dort sehr beliebt. So sah ich sie auch regelmäßig
mit einem anderen Gast verschwinden. Oftmals sogar mit Typen, die sonst den
ganzen Abend über alleine an der Theke standen und keinen Anschluss fanden .
Babs hatte anscheinend eine Vorliebe für die ganz schüchternen und ich fragte
mich, was wohl ihre Eltern dazu sagen würden. Babs war mit Sicherheit kein Kind
von Traurigkeit! Kaum jemand kleidete sich zudem so aufreizend wie sie und sie
hatte definitiv keine Kontaktschwierigkeiten. Sie bezahlte auch niemals selbst
ihre Getränke, denn immer fand sich jemand, der sie nur allzu bereitwillig einlud
— als Gegenleistung für ein Lächeln oder Küsschen.
     
    Im Gegensatz zu Babs war ich kühl und
unnahbar. Aber ich war dennoch ausgesprochen freundlich zu den Gästen, wenn
auch eher distanziert. Offenbar hatte aber auch dies seinen Reiz, und neben
meinem Verdienst bekam ich immer ein gutes Trinkgeld. Weil ich jedoch nicht in
meinen alten Jeans
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