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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
Autoren: Max Scharnigg
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körperlicher Belastung einhergehe, sich quasi ausgleiche, er ließ fünfundzwanzig Kommilitonen vier Wochen lang nur im Laufen essen, sie trabten mit ihren Suppentöpfen und Bratenstücken am Kanal entlang. In seinem kleinen Zimmer kam Max danach mit einigen großzügigen Abkürzungen zu dem Schluss, der Menschheit wäre, hätte sie in einem ständigen flotten Gang gegessen, statt jahrhundertelang zu Tisch zu sitzen und danach zu liegen, ein Drittel der häufigsten Krankheiten erspart geblieben. Aber weil er weder eine medizinische Approbation hatte, noch die Studie die üblichen Normgrößen einhielt, wollte kein Institut und keine der großen Publikationen Notiz davon nehmen.
    Der Ärger darüber spornte Max Honigbrod noch weiter an, gerade das Interdisziplinäre wurde ihm zum Sport, Brücken finden, wo noch nie jemand Wege gesucht hatte, das war es doch. Es gab viel zu wenige, fand er, die linksherum dachten, und zu viele, die das Offensichtliche nicht sahen, nur weil die Fakultätsmauern davorstanden. Aber kaum jemand konnte mit allen Fächern so jonglieren wie er und verstand voll, was eigentlich geschah, wenn er in einem Vortrag über Max Weber, die Kernenergie und die angebliche Belagerung von Konstantinopel sprach. Er bekam Dozentenverträge, die aber auf seinen Wunsch hin allesamt nur von kurzer Dauer blieben, und war einige Zeit lang persönlicher Attaché des Büchersammlers und Milliardärs John Paul Getty Jr., für den er Auktionen besuchte, Inkunabeln und Erstausgaben ausfindig machte und nebenbei die ganze erstaunliche Sammlung sichtete und aus den verschiedenen Wohnsitzen des Sammlers zusammenführte. Eine Kirchengeschichte des Bischofs von Caesarea aus dem 7 . Jahrhundert war tatsächlich auf einer Yacht aufbewahrt worden. Als Getty den Herrensitz Wormsley erwarb und Max die Pläne für eine exzentrische Bibliothek zeigte, die bereits im Bau war, gab der die Stellung auf. So wenig, wie man alte Bücher auf Schiffen spazieren fuhr, schloss man sie in Katakomben, der ganze Neubau war eine einzige Trutzburg und, wie Max nebenbei fallenließ, äußerst stillos. Die Aussicht, zum Kerkermeister dieser gedruckten Welt zu werden, war ihm unerträglich. Also nahm er sein Nomadentum als Privatlehrer und Dozent wieder auf, etwas Festes schien ihm in dieser Zeit ganz und gar unnötig. Die BBC heuerte ihn als Experten für eine Sendung über die wichtigsten Herrenhäuser und ihre Gärten an, als Erstes strich Honigbrod Wormsley von der Liste. Nebenbei warb er, wo er hinkam, für die Eddie-Slovik-Gesellschaft seines Vaters, gab das Flugblatt dafür in jede Hand und hielt, vor allem wenn deutsche Studenten darunter waren, eine kleine, packende Rede dazu, die ihr Ziel nie verfehlte.
    Regelmäßig sah er bei Stuart und Ella vorbei. Seit er mit vierzehn nach Eton gegangen war, hatte er nicht mehr bei ihnen gewohnt, und so wusste er eigentlich wenig über ihr Miteinander. Sie lebten in einem seltsamen kleinen Haus in der Nähe von Brighton. Stuart war Fluglehrer und hatte wohl auch Affären, Max war es egal, seine Mutter war schnell alt und still geworden. Ella gehörte zu den Menschen, die, einmal verpflanzt, nie wieder recht anwuchsen, sondern in einer Art Lebensstarre die Umgebung übersahen, als bestünde Hoffnung darauf, diesen Kampf zu gewinnen. Aber sie mochte das Meer, solange es nicht ganz nah war, und so saß sie, nähte und sprach ihrem Sohn immer gut von Pildau und besonders den lieben alten Leuten dort, und Max war sich nicht ganz sicher, ob das Ludwig mit einschloss.
    Als er mit dem BBC -Tross für eine Folge seiner Sendung im Waterperry House bei Oxford Station machte, drehten sie auch in jenem Teil des Gebäudes, der die Waterperry Horticultural School for Women enthielt, die seit jeher Mädchen aus guten Familien zu vollendeten Gärtnerinnen ausbildete. Es war dies eine Einrichtung, die Max außerordentlich behagte, auch wenn die Bibliothek des Instituts recht dürftig war und zu gleichen Teilen aus botanischer Fachliteratur und schwärmerischen Romanen bestand. Den Mädchen stand eine legendäre Lehrerin vor, eine winzige Dame, die stets in einem tadellosen Tweed-Kostüm durch die penibel gepflegte Anlage schritt und dabei ein Peddigrohr hielt, das ihr wie ein Dirigierstock diente, und die Schülerinnen in den Gärten waren ihr Orchester, das auf jeden Zeig hin parierte. Die Mädchen waren schüchtern, in ihren Pausen standen sie weit von dem Kamerateam entfernt, und ihr Kichern wehte nur ganz
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