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Vor Nackedeis wird gewarnt

Vor Nackedeis wird gewarnt

Titel: Vor Nackedeis wird gewarnt
Autoren: Frank Charles
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fragte er: »Wo kann der kleine Flegel denn bloß wieder stecken?«
    Helen Dennington schaute verwundert auf: »Wie bitte?« fragte sie schnippisch.
    »Der kleine Flegel«, wiederholte Bernie. »Ich nenne ihn so, weil bis zum heutigen Tage alle unsere Versuche, ihn zu ändern, gescheitert sind.«
    Und während er und Adele angestrengt Ausschau nach ihrem Sprößling hielten, begannen plötzlich und ohne ersichtlichen Grund die Glocken der Abteikirche laut und vernehmlich zu läuten.
    Bernie schrie: »Das ist Andy!« und rannte davon.
    Andy hatte sich immer schon gewünscht, einmal mit diesen Glocken zu spielen!

    Der Empfang fand in der großen Halle von Caversham Manor statt. Ein üppiges Büfett und die entsprechenden Getränke standen bereit.
    Jeder hielt eine kleine Rede.
    Auch Richard Widderby als Brautführer hielt eine Rede.
    Der Pfarrer hielt eine Rede.
    Der Bräutigam hielt eine Rede.
    Auch Mr. Bernard Charlton hielt eine Rede. Zwar hatte man ihn nicht darum gebeten, denn er war einer der weniger wichtigen Gäste. Er hatte auch nicht die Absicht gehabt, aber trotzdem eine Rede gehalten, und eine Rede, die nicht schlecht war. Kurz, intensiv und leidenschaftlich, eine Rede, die ein Mann hält, der merkt, wie sein Sohn ihm einen Eßlöffel Eiscreme in den Nacken schüttet.
    Auch Lord Caversham hielt eine Rede.
    Er erhob sich, aber bevor er seinen Mund auch nur öffnen konnte, wurde er durch die unschuldige Stimme eines Kindes von der Galerie her unterbrochen.
    Vernehmlich geflüstert ertönte die Frage: »Mammi, warum hat der alte Mann da unten keine Haare auf dem Kopf?«
    Eine vernünftige Frage. Aber eine Frage, die in Adele sehr gemischte Gefühle auslöste.
    »Hm«, vernahm man Lord Caversham, der sich räusperte.
    Mit heller, klarer Stimme eine weitere Frage: »Weil er alt ist, nicht wahr?«
    Eine rasende Adele zischte: »Halt endlich den Mund!«
    »Oh«, meinte Lord Caversham, »Sie da oben. Wenn es Sie interessiert, ich hatte einmal sehr viele Haare auf dem Kopf!«
    Andy stieß seine Mutter an.
    »Aber«, so fuhr Seine Lordschaft fort, »es fiel an einem Sonntagnachmittag aus.« Er räusperte sich erneut und sagte dann:
    »Ich habe große Sorgen. Und diese Sorgen«, und er blickte Andy bei diesen Worten scharf an, »fingen damit an, daß ich Fragen stellte.«
    Andy griff nach seinen Haaren. Sie waren noch vollzählig vorhanden, aber ein tiefer Zweifel hatte sich in ihm festgesetzt. Und von diesem Tage an faßte er sich jedesmal nach den Haaren, wenn er eine Frage stellte.
    Lord Caversham setzte seine Ansprache fort.

    Der Wind von der See her blies kälter und kälter. Grau waren die Wolken, die vom Horizont her heranrollten. Erst Regen, dann Hagel klatschte gegen die Fenster und auf das Dach, und die Hausbewohner scharten sich um ein Kaminfeuer, das nur dann richtig brannte, wenn der Wind richtig stand. Was Haus Seeblick betraf, so stand der Wind niemals in der richtigen Richtung.
    Strand und Promenade wirkten wie ausgestorben. Die Flußmündung war bedeckt von schmutzigen Eisschollen, dort, wo im Sommer die Wellen einladend glitzerten. Nasen wurden erst rot, dann blau, und schließlich begannen sie zu laufen. Augen tränten, und Halsschmerzen waren eine Selbstverständlichkeit. Die Landschaft wurde zu einem Alptraum.
    Weihnachten war kalt, ungemütlich. Aber sie waren stolz darauf, jetzt Bürger von Dymstable zu sein, harte Burschen, die das ganze Jahr über dort aushielten.
    Am Heiligabend gegen acht Uhr abends schlich sich Bernie leise in Andys Schlafzimmer. Er trug mit sich einen kleinen Beutel mit Spielzeug. Auf Zehenspitzen und mit angehaltenem Atem näherte er sich Andys Bettchen, um den Beutel dort aufzuhängen.
    »Hallo, Daddy«, sagte Andy.
    »Schlaf endlich«, brüllte Bernie barsch. Elegant hob er eine Krawatte vom Boden auf, so, als sei er deswegen in das Schlafzimmer gekommen. Hastig trat er den Rückzug an.
    Um neun schlich er erneut in das Zimmer. Er nahm die Spur wieder auf, wie ein Trapper auf der Jagd auf einen Büffel.
    Andy fragte: »Wann kommt das Christkindchen eigentlich?«
    Sein Vater schnarrte: »Nicht, bevor kleine Jungens schlafen!«
    Er ging wieder nach unten, bewaffnet mit einer total überflüssigen, langen Hose.
    Um zehn Uhr schlenderte er in das Zimmer, knallte Andy die Decke über den Kopf und schrie: »Schlaf ein, du verdammtes, kleines...«
    Andy schluchzte: »Ich warte auf das Christkindchen!«
    »Das kommt nicht, bevor du nicht eingeschlafen bist, und wenn du nicht
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