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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands
Autoren: Jules Verne
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unverändert, lebhaft und unanfechtbar, wenn man im Gespräch auf sein Genie kam; es ist ja bekannt, daß Genie und Narrheit gar oft hart aneinander grenzen. Im übrigen waren Vernunft und Sinnesthätigkeit bei ihm schwer angegriffen. Wo sich diese äußern sollten, traten sie nur unbestimmt und lückenhaft zu Tage. So litt er am Fehlen des Gedächtnisses, an der Unmöglichkeit, aufmerksam zu sein, wie an Unklarheit des Bewußtseins und des Urtheils. Thomas Roch war also ein der Vernunft beraubtes Wesen, das in keiner Weise für sich selbst sorgte, ja jeden Trieb der Selbsterhaltung verloren hatte, so daß man ihn wie ein Kind behandeln mußte. Man durfte ihn nie aus dem Gesicht verlieren und im Pavillon Nr. 17, den er im Park des Healthsul-House bewohnte, hatte sein Wärter den strengsten Auftrag, ihn Tag und Nacht zu überwachen.
    Der gewöhnliche Irrsinn kann, wenn er nicht ganz unheilbar ist, nur durch moralische Mittel bekämpft werden. Medicin und Therapeutik sind dagegen unvermögend und ihre Nutzlosigkeit ist von den Irrenärzten auch schon seit langer Zeit anerkannt. Ob jene moralischen Mittel auch im Falle des Thomas Roch anwendbar waren, erschien mindestens zweifelhaft, selbst in der stillen, heilsamen Umgebung des Healthsul-House. Eine fortwährende Unruhe, steter Wechsel der Laune, Reizbarkeit und Wunderlichkeit des Charakters – diese verschiednen Krankheitszeichen traten deutlich genug zu Tage. Kein Arzt hätte sich darüber täuschen können und keine Behandlung erschien geeignet, sie zu unterdrücken oder nur zu mildern.
    Man hat treffend gesagt, daß der Irrsinn einen Exceß der Subjectivität darstelle, d. h. daß Seele und Geist sich zu sehr innrer Thätigkeit hingeben und Eindrücken von außen zu wenig zugänglich sind. Bei Thomas Roch traf das im höchsten Maße zu. Er lebte nur noch in seinem Innern, als Beute einer fixen Idee, die sich seiner völlig bemächtigt und ihn zuletzt auch hierher gebracht hatte. Ob es nun zu irgend einem Ereigniß, zu einer Art Rückschlag kommen würde, der ihn wieder »exteriorisierté« – wenn dieses hier ganz angebrachte Wort erlaubt ist – das erschien zwar unwahrscheinlich, doch nicht ganz unmöglich.
    Es dürfte hier an der Stelle sein, mitzutheilen, unter welchen Umständen dieser Franzose sein Vaterland verlassen, welcher Beweggrund ihn nach den Vereinigten Staaten geführt und warum es die Bundesregierung für angezeigt und sogar nothwendig erachtet hatte, ihn diesem Genesungsheim zuzuführen, wo man mit peinlichster Sorgfalt auf alles achten sollte, was er bei seinen gelegentlichen Anfällen unwillkürlich äußerte.
     

    Healthful-House.
     
    Vor achtzehn Monaten ging dem Marineminister in Washington das Gesuch um eine Audienz zu, bei der der genannte Thomas Roch dem hohen Beamten eine wichtige Mittheilung machen wollte.
    Schon der Name des Nachsuchenden verrieth dem Minister, um was es sich handelte. Obgleich er also die Natur der Mittheilung kannte und wußte, von welchen Forderungen sie begleitet sein werde, zögerte er gewünschte Audienz sofort zu bewilligen.
    Der Ruf jenes Thomas Roch war zur Zeit schon so weit verbreitet, daß der Minister im Interesse der Angelegenheiten seines Ressorts gar nicht zögern konnte, den Gesuchsteller zu empfangen, um von den Vorschlägen, die ihm dieser persönlich machen würde, Kenntniß zu nehmen.
    Thomas Roch war ein Erfinder – ein Erfindergenie. Schon hatten wichtige Entdeckungen seine Persönlichkeit in helles Licht gestellt. Durch ihn waren mancherlei bisher nur in der Theorie vorhandne Probleme der praktischen Anwendung zugeführt worden. Sein bereits bekannter Name wurde in der gelehrten Welt unter den ersten genannt, und der Leser wird selbst erkennen, in Folge welcher Verdrießlichkeiten, Kränkungen, Enttäuschungen und sogar welcher Beschimpfungen, womit er von den Spottvögeln der Presse überhäuft wurde, er allmählich in das Stadium der Geistesgestörtheit gerieth, das seine Unterbringung im Healthsul-House nöthig gemacht hatte.
    Seine letzte Erfindung im Gebiete der Kriegsmaschinen trug den Namen des »Fulgurator Roch«. Dieser Apparat besaß, wenn man dem Erfinder glauben durfte, eine solche Ueberlegenheit gegenüber allen andern, daß der Staat, der sich denselben sicherte, unbedingt der Beherrscher der Länder und Meere sein mußte.
    Es ist ja bekannt, welch beklagenswerthen Schwierigkeiten die Erfinder so oft begegnen, wenn es sich um ihre Erfindungen handelt, und vorzüglich, wenn sie
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