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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands
Autoren: Jules Verne
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deren Annahme durch eine Staatsbehörde erstreben. Davon leben ja noch zahlreiche und selbst höchst wichtige Dinge betreffende Beispiele in Aller Erinnerung. Wir brauchen hier darauf nicht näher einzugehen, denn derartige Sachen werden oft von schwer zu erkennenden Unterströmungen beeinflußt. Was Thomas Roch betrifft, muß man jedenfalls zugestehen, daß er, gleich den meisten seiner Vorgänger, so unmäßige Forderungen stellte, den Werth seiner neuen Maschine zu einem so unermeßlichen Preis veranschlagte, daß es aussichtslos erschien, überhaupt mit ihm zu verhandeln.
    Das rührte aber – wie hier auch zu bemerken ist – daher, daß manche seiner frühern Erfindungen, die erfolgreiche praktische Verwendung gefunden hatten, mit wirklich seltner Kühnheit ausgebeutet worden waren. Da ihm dadurch die Vortheile, die er rechtmäßig davon erwartet hatte, entgangen waren, verfiel er allmählich einer bittern Verstimmung. Er wurde mißtrauisch und nahm sich vor, nur höchst vorsichtig mit der Sprache herauszugehen, fest auf dem Worte zu beharren und jedenfalls eine so beträchtliche Geldsumme zu verlangen, daß auf solche Forderungen, noch dazu vor jeder Erprobung der Sache, kein Mensch eingehen konnte.
    Zuerst bot dieser Franzose den Fulgurator Roch natürlich Frankreich an. Er unterrichtete die zur Entgegennahme solcher Mittheilungen beglaubigte Commission darüber, um was es sich handelte. Das war nämlich eine selbstbewegliche Maschine von ganz besondrer Construction, die mit einem ganz neuen Explosivstoffe geladen war und die nur unter der Wirkung einer ebenfalls neuen Zündmethode in Thätigkeit trat.
    Wenn diese auf ihr Ziel losgelassene Maschine nicht durch Anprall an letzteres, sondern einige hundert Meter davon entfernt explodierte, übte sie auf die umgebenden Luftschichten eine so furchtbare Wirkung aus, daß jedes Bauwerk, ein detachiertes Fort oder ein Kriegsschiff, in einem Kreise von zehntausend Quadratmetern Inhalt augenblicklich zerstört werden mußte. Die Sache kam auf dasselbe Princip hinaus, wie die von der Zalinski’schen pneumatischen Kanone geschleuderte Kugel, doch mit wenigstens hundertfacher Wirkung.
    Entsprach die Erfindung Thomas Roch’s wirklich dieser Darstellung, so bedeutete sie für sein Vaterland die Uebermacht in der Vertheidigung wie im Angriffe. Ob sich der Erfinder der Uebertreibung schuldig machte, obwohl er die Wirkung ähnlicher, angeblich unvergleichlicher Maschinen kennen mußte, das konnten nur praktische Versuche lehren. Grade auf solche Versuche wollte er aber nicht eingehen, ehe er nicht die Millionen in der Tasche hatte, die er seinen Fulgurator werth schätzte.
    In den geistigen Fähigkeiten Thomas Roch’s hatte sich bereits eine Art Gleichgewichtsstörung vollzogen. Er war nicht mehr in vollem Besitz seiner Gehirnthätigkeit. Man empfand es, daß er auf einen Weg gerathen war, der ihn Schritt für Schritt zum Wahnsinn führen mußte. Keine Regierung hätte sich herbeilassen können, mit dem Manne auf die von ihm gestellten Bedingungen hin zu verhandeln.
    Die französische Commission mußte jeden weitern Verkehr abbrechen, und die Zeitungen, selbst die der radicalen Opposition, sahen zuletzt ein, daß es schwierig sei, diese Angelegenheit weiter zu verfolgen. Thomas Roch’s Vorschläge wurden also abgelehnt, ohne daß man übrigens zu befürchten brauchte, daß ein andrer Staat darauf eingehen könnte.
    Bei dem Exceß von Subjectivität, die in der tief gestörten Seele Thomas Roch’s immer mehr aufwucherte, ist es nicht zu verwundern, daß die allmählich erschlaffte Saite des Patriotismus in ihm endlich zu schwingen aufhörte. Wir heben zur Ehrenrettung der menschlichen Natur hervor, daß Thomas Roch zu jener Zeit schon mehr unbewußt handelte. In ihm lebte nichts mehr unverletzt, als was sich unmittelbar auf seine Erfindung bezog; das beherrschte er auch jetzt noch mit genialer Kraft. Was dagegen die gewöhnlichsten Einzelheiten der
    Existenz anging, trat sein geistiger Verfall jeden Tag mehr hervor und raubte ihm die Verantwortlichkeit für sein Thun und Lassen.
    Was nun kommen mußte, kam. Unter zunehmender Reizbarkeit schliefen die Gefühle der Vaterlandsliebe, des heiligsten innern Kerns des Menschen – der früher und mehr als sich selbst seinem Vaterlande gehört – in der Seele des Erfinders ein. Er dachte an andre Völker, überschritt die Grenze und bot den Fulgurator Roch dem Deutschen Reiche an.
    Nach dem Bekanntwerden der unmäßigen
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