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Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Vor dem Abgrund: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tom Finnek
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Sir«, antwortete Celia, überlegte kurz und nickte dann zögerlich.
    »Man ist ja kein Unmensch«, meinte Mr. Egerton, legte seine Hand auf ihre Schulter, nahm ihr mit der anderen den Koffer ab und führte sie nach oben.
    Es wurde eine unruhige und schlaflose Nacht, und das lag nicht allein daran, dass ein heftiger Sturm aufzog und der Regen beinahe ununterbrochen auf das Dach und gegen das winzige Giebelfenster prasselte. Im ganzen Haus pfiff und jaulte es, als feierten die Gespenster einen Ball. Gleichzeitig surrten Celia die Gedanken wie ein Mückenschwarm durch den Kopf, tänzelnd und scheinbar ohne jede Ordnung. Dabei aber beißend und schmerzhaft. Immer wieder schalt sie sich für ihr überhastetes und unbedachtes Handeln und wünschte sich nach Brightlingsea zurück, wo sie in aller Ruhe und versorgt von der Gemeinde die Quarantäne hätte absitzen können. Was um alles in der Welt hatte sie sich dabei gedacht, wie ein kopfloses Huhn durch die Gegend zu flattern? Warum hatte sie das Ganze nicht einfach auf sich beruhen lassen? Was war nur in sie gefahren? Wieso war sie nur immer so ungeduldig und brach die Dinge übers Knie, auch wenn dazu gar keine Notwendigkeit bestand? »Celias Vorwitz«, so hatte ihre Mutter das immer genannt. »Mit dem Mund und den Füßen schneller, als der Kopf hinterherkommt.«
    Es war bereits nach Mitternacht, als das Stimmengewirr aus dem Schankraum abebbte und die Schänke geschlossen wurde. Kurz darauf hörte Celia die schlurfenden Schritte des Wirts auf der Treppe, dann das Knarren einer Bohle direkt vor ihrer Tür, kurz darauf wurde der eiserne Türknauf mit einem quietschenden Geräusch gedreht. Celia war froh, dass sie den Stuhl unter den Griff geschoben und schräg gegen das Holz verkantet hatte, sodass die Tür von außen nicht zu öffnen war. Das seltsame Lächeln im Gesicht des Wirts, als er »Kostet dich nichts« gesagt hatte, hatte ihr nicht gefallen. Nun wusste sie, dass sie sein schiefes Grinsen richtig gedeutet hatte.
    Erneut drehte sich der Türknauf, es quietschte, dann ruckelte es an der Tür, zunächst sachte, schließlich immer heftiger. Doch der angelehnte Stuhl blieb in Position. Nach einiger Zeit gab der Wirt, der die ganze Zeit keinen Ton von sich gegeben hatte, auf und schlurfte ärgerlich knurrend zu seiner Kammer im unteren Stockwerk. Celia atmete tief durch, als sie die leiser werdenden Schritte auf der Treppe hörte, doch an einen festen oder gar erholsamen Schlaf war anschließend natürlich kaum noch zu denken.
    Am nächsten Morgen wurde Celia durch ein Rütteln und Klopfen an der Tür geweckt. Kurz vor Sonnenaufgang waren ihr die Augen vor Erschöpfung zugefallen, und als sie jetzt das abermalige Pochen an der Tür hörte, fuhr sie in die Höhe und stieß sich dabei den Kopf an der Dachschräge. Die Sonne schien bereits durchs Dachfenster.
    »Brauchst dich nicht länger zu verbarrikadieren«, meldete sich eine Frauenstimme von draußen. »Kannst rauskommen, Kleines. Dir passiert nichts.«
    »Was soll ihr auch passieren?«, hörte Celia die Stimme von Mr. Egerton.
    »Du bist still, Syd!«, befahl die Frau. Celia vermutete, dass »die Missis« etwas früher als geplant aus Lyndhurst zurückgekommen und womöglich nicht sehr erbaut von dem weiblichen Besuch in der Dachkammer war.
    »Keine Bange, kleine Miss Brooks, ich beiße nicht«, sagte Mrs. Egerton. »Und meinen Mann halte ich an der Kandare.«
    »Danke, Ma’am«, antwortete Celia und stieg aus dem Bett, um sich anzukleiden.
    »Wir sind unten«, sagte Mrs. Egerton und lachte, ohne dass es besonders erfreut geklungen hätte. »Komm frühstücken. Ich hab was für dich.«
    Als Celia nur wenige Minuten später im Schankraum erschien, lächelte der Wirt sie freundlich an, als wäre gar nichts vorgefallen. »Hast du gut geschlafen?«, fragte er und wies auf einen Tisch neben dem Eingang, auf dem ein Teller mit Bohnen, Speck und Rührei für sie bereitstand. »Hast Angst gehabt, was? Kein Wunder, bei dem Sturm letzte Nacht. Das ganze Haus hat gewackelt, dass man dachte, es würde einem an der Tür gerüttelt. Da kann man’s schon mal mit der Angst zu tun bekommen und sich verkriechen.«
    »Red nicht!«, wurde Mr. Egerton durch seine Frau unterbrochen, die mit einem gefüllten Tablett aus der Küche kam. »Und lass das Mädchen in Ruhe!«
    »Man wird ja wohl noch fragen dürfen, wie die Nacht war«, maulte der Wirt, zog sich aber schleunigst hinter den Schanktisch zurück, als Mrs. Egerton ihn mit
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