Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
Zeit es zermürbt hatte und daß es nicht mehr so bösartig war wie früher! Vorsichtig löste ich die Schnur oben an der rechten Seite und nahm mit unendlicher Behutsamkeit die letzte Schlinge vom Pfosten. Ich dachte gerade, daß diesmal vielleicht alles gutginge, als es, jetzt nur noch an der linken Schnur hängend, mit altgewohnter Gehässigkeit auf mich zufuhr.
    Erst traf es mich an der Brust, dann schlug es mir gegen die Beine, und der Stacheldraht drang durch meine Hosenbeine. Wütend versuchte ich, das Ding von mir wegzustoßen, aber es stieß auch weiterhin auf mich ein, und als ich mich, um meine Brust zu schützen, nach hinten beugte, glitten die Füße unter mir weg, und ich schlug zu Boden. Der Länge nach auf dem Rücken liegend, sah ich, wie das Tor sich mit einem weichen hölzernen Knurren auf mich senkte.
    Ich hatte schon mehrere Male in der Vergangenheit beinahe unter dem Gattertor gelegen, war aber bisher jedesmal im letzten Moment wieder freigekommen. Ich versuchte, mich darunter hervorzuschlängeln, aber der Stacheldraht hatte mich fest im Griff. Ich saß in der Falle.
    Ich spähte verzweifelt über die Holzlatten hinweg. Die Farm war höchstens fünfzig Meter entfernt, aber keine Menschenseele war in Sicht. Das war seltsam – wo war denn der Farmer? Ich hatte erwartet, daß er verzweifelt vorm Haus auf und ab ging und ungeduldig die Hände rang, aber der Hof war menschenleer.
    Ich dachte daran, um Hilfe zu rufen, aber das kam mir dann doch zu albern vor. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mit beiden Händen zuzupacken und mich selbst zu befreien, wobei ich versuchte, das Geräusch meines zerreißenden Anzugs nicht zu hören. Schließlich befand ich mich in Sicherheit.
    Ich ließ das Gattertor liegen, wo es lag. Normalerweise mache ich alle Tore sorgfältig wieder hinter mir zu, aber es war kein Vieh auf den Wiesen, und im übrigen hatte ich fürs erste genug.
    Ich klopfte kräftig an die Tür des Hauses. Mrs. Ripley öffnete mir.
    »Da sind Sie ja, Mr. Herriot. Wunderbares Wetter, nicht?« sagte sie. Dabei sah sie mich mit dem gleichen freundlichen Lächeln an, das ich von ihrem Mann kannte. Sie trug eine Schürze um ihre üppige Taille und trocknete gerade einen Teller ab.
    »Ja... ja... Ihr Mann hat mich angerufen, ich soll nach Ihrer kranken Kuh sehen. Ist er da?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, er ist noch nicht wieder zurück. Ist sicher noch in den Füchsen und Hunden.«
    »Was?« Ich starrte sie an. »Ist das nicht die Kneipe in Diverton? Ich dachte, es sei ein dringender Fall...«
    »Ja, ja. Aber er mußte doch da hingehen, um Sie anzurufen – wir haben kein Telefon hier, verstehen Sie?« Ihr Lächeln wurde noch breiter.
    »Aber... aber das ist doch schon über eine Stunde her. Er müßte doch längst wieder hier sein.«
    »Das stimmt«, sagte sie und nickte verständnisvoll. »Wahrscheinlich hat er ein paar von seinen Kumpanen getroffen. Sie sind dort jeden Sonntagmorgen.«
    Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. »Mrs. Ripley, ich habe mein Sonntagsessen stehenlassen, um sofort herzukommen.«
    »So? Wir haben schon gegessen«, sagte sie, als ob ihre Worte ein Trost für mich wären. Und sie hätte es mir nicht zu sagen brauchen. Der köstliche Duft, der aus der Küche drang, war unverkennbar der von Roastbeef, und bestimmt hatte es vorher Yorkshire-Pudding gegeben.
    Eine Zeitlang sagte ich nichts. Dann holte ich tief Luft. »Also, gut. Ich kann ja schon einmal nach der Kuh sehen. Wo ist sie, bitte?«
    Mrs. Ripley deutete auf einen der Ställe auf der anderen Seite des Hofes. »Dort.« Und als ich mich anschickte, über den Hof zu gehen, rief sie hinter mir her: »Sehen Sie sich die Kuh ruhig an, bis er zurückkommt. Es wird sicher nur noch ein paar Minuten dauern.«
    Ich fuhr zusammen, als ob ich einen Schlag mit der Peitsche auf die Schulter bekommen hätte. Das klang bedrohlich. »Nur noch ein paar Minuten« – in Yorkshire konnte das alles bedeuten, bis zu zwei oder drei Stunden.
    Ich öffnete die obere Türhälfte und betrachtete die Kuh in der Box. Sie lahmte stark, aber als ich auf sie zuging, stellte sie das verletzte Bein auf den Boden.
    Also war das Bein nicht gebrochen. Sie konnte sich zwar nicht mit ihrem vollen Gewicht darauf stellen, aber von dem typischen Baumeln des Beins war nichts zu sehen. Ich war erleichtert. Bei einem großen Tier bedeutet der Bruch eines Beins gewöhnlich, daß es getötet werden muß – kein noch so fester Gipsverband kann den Druck
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher