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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
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sofort.«
    »Oh, vielen Dank, Herr Doktor. Myrtle macht’s bestimmt nicht mehr lange. Kommen sie bitte ganz schnell!«
    Ich sprang aus dem Bett und tastete nach meinen Kleidern, die über dem Stuhl hingen. In der Eile stieg ich mit beiden Füßen in dasselbe Hosenbein meiner Cordhose und fiel der Länge nach hin.
    Helen war die nächtlichen Telefonanrufe gewöhnt und wachte oft nur halb auf. Ich versuchte, sie nicht zu stören, indem ich mich anzog, ohne Licht zu machen – es drang immer ein Schimmer von dem Nachtlicht herein, das wir Jimmys wegen im Treppenhaus brennen ließen.
    Aber diesmal war alles umsonst: als ich polternd zu Boden ging, fuhr Helen hoch.
    »Was ist los, Jim? Was ist passiert?«
    Ich kam wieder auf die Füße. »Schon gut, Helen, ich bin nur gestolpert.« Ich griff nach meinem Hemd.
    »Wo willst du denn hin?«
    »Ein dringender Fall. Ich muß mich beeilen.«
    »Gut, Jim. Aber mit dieser Hektik bist du auch nicht schneller. Komm doch erst mal wieder zur Ruhe.«
    Helen hatte recht. Ich war zu nervös – ich habe die Tierärzte, die stets die Ruhe bewahren, immer beneidet.
    Ich lief die Treppe hinunter und durch den Garten zur Garage. Cedar House lag nur eine Meile entfernt, und so blieb mir unterwegs nicht viel Zeit zum Nachdenken. Aber als ich am Ende der Hill Street ankam, war ich ziemlich fest der Meinung, daß eine Störung, wie Humphrey Cobb sie beschrieben hatte, eigentlich nur durch einen Herzanfall oder eine plötzliche Allergie verursacht sein konnte.
    Ich klingelte. Das Licht über der Tür ging an, und Humphrey Cobb stand vor mir. Er war ein kleiner rundlicher Mann in den Sechzigern mit einer spiegelnden Glatze.
    »Oh, Mr. Herriot, kommen Sie rein, kommen Sie«, stammelte er, während ihm die Tränen über die Wangen strömten. »Ich danke Ihnen, daß Sie extra aufgestanden und mitten in der Nacht zu mir gekommen sind, um meiner armen kleinen Myrtle zu helfen.«
    Während er sprach, schlug mir eine Whiskyfahne entgegen. Und als er mir voran durch den Flur ging, bemerkte ich, daß er schwankte.
    Mein Patient lag in einem Korb, der in der großen, wohlausgestatteten Küche neben dem Kochherd stand. Ein warmes Gefühl durchflutete mich, als ich sah, daß Myrtle ein Beagle war, wie mein eigener Hund. Ihre Schnauze stand offen und ihre Zunge hing heraus, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß sie litt oder in akuter Gefahr war, und als ich ihr den Kopf streichelte, klopfte sie mit dem Schwanz auf die Decke.
    Wieder erhob Mr. Cobb seine klagende Stimme: »Was werden Sie mit ihr tun, Mr. Herriot? Es ist das Herz, nicht? O, Myrtle, meine Myrtle!« Der kleine Mann beugte sich über seinen Liebling und ließ seinen Tränen freien Lauf.
    »Wissen Sie, Mr. Cobb«, sagte ich, »so schlecht kann es ihr eigentlich nicht gehen. Regen Sie sich doch nicht so auf, Mann. Beruhigen Sie sich, ich werde sie jetzt erst mal untersuchen.«
    Ich hielt mein Stethoskop an die Rippen und hörte das stetige Klopfen eines wunderbar kräftigen Herzens. Die Temperatur war normal. Als ich den Bauch abtastete, fing Mr. Cobb wieder mit seiner Klagestimme an.
    »Das schlimme ist«, stieß er hervor, »daß ich das arme Tierchen vernachlässigt habe!«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Na, ich bin den ganzen Tag in Catterick beim Pferderennen gewesen und habe gewettet und getrunken, ohne ein einziges Mal an mein armes Hündchen zu denken.«
    »Sie haben sie die ganze Zeit hier im Haus allein gelassen?«
    »Nein, nein, die Frau ist bei ihr gewesen.«
    »Aha.« Ich spürte, daß ich langsam dem Geheimnis auf die Spur kam. »Und die Frau hat Myrtle Futter gegeben und sie in den Garten hinausgelassen?«
    »Ja, sicher«, sagte er und rang die Hände. »Aber ich hätte sie nicht allein lassen sollen. Sie hängt so sehr an mir.«
    Während er sprach, fühlte ich, wie die eine Seite meines Gesichts vor Hitze zu kribbeln begann. Und plötzlich war mir alles klar.
    »Sie haben sie zu dicht an den Ofen gestellt«, sagte ich. »Sie japst, weil es ihr zu heiß ist.«
    Er sah mich zweifelnd an. »Wir haben den Korb heute erst hierhergeschoben. Der Fliesenleger hat ein paar neue Kacheln auf dem Fußboden verlegt.«
    »Sie werden sehen«, sagte ich, »sobald Sie ihn wieder dahin schieben, wo er immer stand, wird ihr nichts mehr fehlen.«
    »Aber, Herr Doktor«, erwiderte er mit bebenden Lippen, »es muß mehr sein als nur das. Sie leidet. Sehen Sie sich ihre traurigen Augen an.«
    Myrtle hatte wunderschöne große, schwimmende Augen, und sie
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