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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
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wenigen Sekunden. Aber bei diesen ausgewachsenen Kreaturen mußte man die Arme der Zange fast neunzig Grad öffnen, um den fleischigen Hodensack in den Griff zu bekommen – und das Problem war, daß man sie wieder zusammendrücken mußte.
    Dank der Injektion spürten die Tiere wenig oder gar nichts, aber meine verzweifelten Versuche, die Zange zusammenzudrücken, schienen zum Scheitern verurteilt.
    Es ist erstaunlich, was der Mensch alles vermag, wenn er zum Äußersten getrieben wird. Mir lief der Schweiß an der Nase herunter, ich keuchte und zitterte vor Anstrengung, aber langsam, ganz langsam kamen sich die Metallbacken der Zange näher und näher – bis sie schließlich zusammenstießen. Ich hatte mir angewöhnt, sicherheitshalber jeden Samenstrang zweimal abzuklemmen, und machte jedesmal eine kleine Pause, bevor ich die Prozedur weiter unten wiederholte. Als ich mit dem ersten Tier fertig war, lehnte ich mich schweratmend an die Wand und versuchte, nicht an die anderen sieben Biester zu denken, die ich noch vor mir hatte.
    Es dauerte lange, sehr lange, bis ich beim letzten angelangt war, und ich wollte mich gerade wieder ans Werk machen, als mir eine Idee kam. Ich richtete mich auf und trat an die Flanke des Tieres.
    »Mr. Ripley«, sagte ich atemlos, »wollen Sie es nicht auch einmal versuchen?«
    »Was?« Der Farmer hatte mir gleichmütig zugeschaut und Wolken blauen Rauchs vor sich hingepafft. Jetzt war ihm deutlich anzusehen, daß ich ihn aus seiner Gemütsruhe aufgeschreckt hatte. »Was meinen Sie?«
    »Das ist jetzt das letzte Tier, und ich möchte, daß Sie mal sehen, wovon ich gesprochen habe. Ich möchte, daß Sie die Zange zusammendrücken.«
    Er dachte eine Zeitlang über die Angelegenheit nach. »Und wer soll das Biest festhalten?«
    »Das geht schon in Ordnung«, sagte ich. »Wir werden es möglichst kurz am Ring anbinden, und ich bereite alles für Sie vor. Dann wollen wir mal sehen, wie Sie zurechtkommen.«
    Er sah mich zweifelnd an. Aber ich war zu allem entschlossen und drängte ihn sanft zum Hinterteil des Tieres. Ich setzte den Kastrator am Hoden an und legte Mr. Ripleys Hände um die Hebel.
    »So«, sagte ich. »Fangen Sie an.«
    Der Farmer holte tief Luft, spannte die Muskeln und begann, Druck auf die Metallhebel auszuüben. Nichts geschah.
    Ich stand mehrere Minuten neben ihm. Sein Gesicht wurde rot, dann lila, die Augen quollen ihm aus dem Kopf, und die Adern auf seiner Stirn traten als blaue Wülste hervor. Schließlich stöhnte er auf und fiel auf die Knie.
    »Nee, Junge, nee, das wird nichts. Ich kann es nicht.«
    Er kam langsam wieder auf die Füße und fuhr sich mit der Hand über die Brauen.
    »So, so, Mr. Ripley.« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und lächelte ihn freundlich an. »Und von mir erwarten Sie, daß ich damit fertig werde.«
    Er nickte dumpf.
    »Schon gut, macht nichts«, sagte ich. »Aber jetzt haben Sie sicher verstanden, was ich meine. Es ist im Grunde eine Lappalie. Wenn Sie mich gerufen hätten, als es noch Kälber von drei Monaten waren, wäre ich in ein paar Minuten damit fertig gewesen. Verstehen Sie?«
    »Ja, Mr. Herriot. Da haben Sie wohl recht. Wie dumm von mir. Ich werde zusehen, daß es nicht wieder vorkommt.«
    Ich kam mir ausgesprochen raffiniert vor. Ich habe nicht oft Eingebungen, aber heute – diese Überzeugung stieg in mir auf –, heute hatte ich eine gehabt. Endlich hatte ich Mr. Ripley geschafft.
    Das Gefühl der Heiterkeit gab mir zusätzliche Kraft, und ich beendete die Arbeit mühelos.
    Als ich zu meinem Auto ging, strahlte ich, und meine Selbstzufriedenheit wurde noch größer, als der Farmer sich, während ich den Motor startete, zum Wagenfenster herunterbeugte.
    »Also, ich danke Ihnen, Mr. Herriot«, sagte er. »Sie haben mir heute morgen eine Menge beigebracht. Wenn Sie das nächste Mal kommen, habe ich ein hübsches neues Tor für Sie, und ich werde Sie nie wieder bitten, so große Biester wie die heute zu kastrieren. Das garantiere ich Ihnen.«
    All das lag lange zurück, vor meiner Zeit bei der Air Force. Inzwischen versuchte ich, mich wieder ins Zivilleben zurückzufinden. In dem Augenblick, als das Telefon klingelte, machte ich mich gerade wieder mit etwas vertraut, was meinem Herzen besonders teuer war – mit Helens Kochkünsten.
    Es war Sonntag, wir saßen beim Mittagessen, und es gab das traditionelle Roastbeef und Yorkshire-Pudding. Meine Frau hatte mir gerade einen Schlag Yorkshire-Pudding auf den Teller getan und
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