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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
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goß Bratensaft darüber, einen schönen braunen Strom, der die Seele des Fleisches in sich hatte und einen Duft zum Träumen verbreitete. Ich war nahe am Verhungern, nachdem ich den ganzen Sonntagmorgen von Farm zu Farm geeilt war.
    Mit einer großen Portion Yorkshire-Pudding und Bratensaft pflegten die sparsamen Frauen der Farmer die Mägen ihrer Lieben zu füllen, bevor das eigentliche Mahl begann – »Wer am meisten Pudding ißt, kriegt auch am meisten Fleisch«, lautete ihre listige Ermunterung –, aber es schmeckte paradiesisch. Als ich den ersten Bissen kaute, dachte ich glücklich daran, daß Helen mir meinen Teller, sobald er leer war, wieder füllen würde – mit Fleisch, mit Kartoffeln und mit Bohnen, die morgens in unserem Garten gepflückt worden waren.
    Das Klingeln des Telefons fuhr grausam in meine Träume hinein. Ich war entschlossen, mir dieses Mahl durch nichts verderben zu lassen. Auch der dringendste Fall konnte warten, bis ich es beendet hätte.
    Trotzdem zitterte meine Hand, als ich den Hörer abnahm, und eine Mischung aus Angst und Unglauben erfüllte mich, als ich die Stimme am anderen Ende der Leitung hörte. Es war Mr. Ripley. Nein, bitte nicht! Nicht den langen Weg nach Anson Hall – nicht an einem Sonntag!
    Die Stimme des Farmers drang donnernd in mein Ohr. Er gehörte zu den Leuten, die immer noch meinen, man müsse am Telefon kräftig brüllen, um sich auf eine größere Entfernung hin verständlich zu machen.
    »Ist da der Tierarzt?«
    »Ja, hier spricht Herriot.«
    »Aha, dann sind Sie also aus dem Krieg zurück, ja?«
    »Ja.«
    »Also, ich wollte Sie bitten, daß Sie gleich herkommen. Einer meiner Kühe geht’s schlecht.«
    »Was fehlt ihr? Ist es dringend?«
    »Ja, das ist es! Ich glaube, sie hat sich das Bein gebrochen.«
    Ich hielt den Hörer ein Stück vom Ohr weg. Mr. Ripleys brüllende Stimme dröhnte in meinem Kopf. »Weshalb glauben Sie das?« fragte ich.
    »Na, weil sie auf drei Beinen steht«, schrie der Farmer zurück. »Und weil das andere so komisch rumhängt.«
    O Gott, das klang wahrhaftig nach einem Beinbruch. Ich blickte traurig durchs Zimmer auf meinen vollen Teller. »Gut, Mr. Ripley, ich komme.«
    »Sie kommen doch gleich, nicht? Gleich jetzt?« Die Stimme war ein mächtiges Donnern.
    »Ja, ich komme.« Ich legte den Hörer auf, rieb mir das Ohr und drehte mich zu meiner Frau um.
    Helen sah mich mit vorwurfsvollen Augen an. »Aber du brauchst doch sicher nicht sofort zu gehen?«
    »Es tut mir leid, Helen. Aber diesmal ist es eine Sache, die ich nicht aufschieben kann.« Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie das verletzte Tier sich ängstigte und litt. Vielleicht war es ein komplizierter Bruch. »Ich muß sofort los.«
    Helens Lippen zitterten. »Gut, ich stelle das Essen in den Ofen, bis du zurückkommst.«
    Als ich wegging, sah ich sie meinen Teller hinaustragen. Wir wußten beide, daß dies das Ende war: kein Yorkshire-Pudding überlebte einen Besuch in Anson Hall.
    Ich fuhr so schnell ich konnte durch Darrowby. Der kopfsteingepflasterte Marktplatz schlief im Sonnenschein und atmete sonntäglichen Frieden. Die Bewohner der kleinen Stadt saßen offenbar alle beim Mittagessen. Die Mauern aus Feldsteinen draußen vor der Stadt flogen an mir vorbei. Als ich endlich die Stelle erreichte, wo der Weg zur Farm abzweigte, traf mich schier der Schlag.
    Es war das erste Mal, daß ich wieder hierherkam seit meiner Entlassung vom Militär, und ich nehme an, daß ich erwartet hatte, irgend etwas anders als früher vorzufinden. Aber da war noch dasselbe alte eiserne Tor – nur daß es noch etwas mehr verrostet war. Mit wachsendem Unbehagen kämpfte ich mich durch die verschiedenen Tore, bis ich schließlich zum Tor Nummer sieben kam.
    Es war nach wie vor das schreckliche Tor von damals! Aber das kann doch nicht wahr sein, dachte ich, während ich unwillkürlich auf Zehenspitzen darauf zuging. Ich hatte so viel erlebt, seit ich es zum letztenmal gesehen hatte, ich war in einer anderen Welt gewesen, in der Welt des Militärs, ich hatte fliegen gelernt – und dieses klapprige Gebilde hatte den ganzen Krieg unbeachtet und unverändert überdauert!
    Ich sah es mir aus der Nähe an. Ja, es war dasselbe wacklige Gattertor! Unglaublich! Aber jetzt bemerkte ich doch eine Veränderung. Mr. Ripley hatte, offenbar aus Angst, daß eine seiner Kühe dagegen stoßen und von dem alten Ding erschlagen werden könnte, das Holz mit Stacheldraht umwickelt.
    Ich hoffte nur, daß die
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