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von Schirach

von Schirach

Titel: von Schirach
Autoren: Schuld
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gestohlenen Maserati zum Hauptbahnhof.
Atris ging zu dem Schließfach und schloss es auf. Er stellte zwei Taschen vor
die Frau und öffnete sie. Sie sah in die Taschen.
    »Wie viel Geld ist das?«, fragte sie.
    »220 000
Euro«, sagte Atris.
    »Und was ist das in der anderen?«
    »1,1 kg Kokain«, sagte Atris.
    »Gut, ich nehme beides. Die Sache ist damit erledigt. Ich gehe jetzt, du
siehst mich nie wieder, und du hast mich nie gesehen«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Wiederhole es.«
    »Ich habe Sie noch nie gesehen«, sagte Atris.
    Die Frau drehte sich um, nahm die beiden Taschen und ging zur Rolltreppe.
Atris wartete kurz, dann rannte er zur nächsten Telefonzelle. Er nahm den Hörer
ab und wählte die Notrufnummer der Polizei.
    »Eine Frau mit schwarzem Kapuzenshirt, ca. 1,70 groß, schlank, geht im
Hauptbahnhof in Richtung Ausgang.« Er kannte die Sprache der Polizei. »Sie ist
bewaffnet, sie hat eine Tasche mit Falschgeld und ein Kilogramm Kokain bei
sich. Sie hat einen blauen, nein, einen roten Maserati gestohlen. Er steht auf
Parkdeck zwei«, sagte er und legte auf.
    Er kehrte zurück zum Schließfach und griff hinein. Hinter dem Münzschacht
klebte - von außen nicht sichtbar - ein zweiter Schlüssel. Er schloss damit
das Fach nebenan auf und entnahm ihm eine Tasche. Er sah kurz rein, das Geld
war noch da. Dann ging er zurück in die Haupthalle und fuhr mit der Rolltreppe
nach oben zu den S-Bahn-Gleisen. Auf der untersten Ebene sah er die Frau am
Boden liegen. Acht Polizisten standen um sie herum.
     
    Atris nahm die erste S-Bahn in Richtung Charlottenburg. Als sie anfuhr,
lehnte er sich zurück. Er hatte das Geld. Morgen würde das große Paket aus
Amsterdam mit den Pillen bei seiner Mutter ankommen, Frank hatte sogar noch
eine rot und grün beleuchtete Windmühle für sie eingepackt. Sie liebte solche
Dinge. Bei der Post hätten sie noch keine Drogenhunde, es sei zu teuer, hatte
der Russe gesagt.
    Die Frau würde vier oder fünf Jahre bekommen. Das Kokain war zwar nur
Zucker, aber auf das Falschgeld waren Frank und Atris selbst einmal
reingefallen. Außerdem gab es noch den Waffenbesitz und den PKW-Diebstahl.
    Frank würde in ein paar Tagen freikommen, es war ihm nichts nachzuweisen.
Die Pillen würden sich gut verkaufen lassen. Er würde Frank zur Entlassung
einen jungen Hund schenken, auf jeden Fall einen kleineren. Sie hatten 250 000 Euro gespart, die Festnahme
der Frau ging zu Lasten des Russen, so waren nun mal die Regeln. Frank würde
sich den neuen Maserati Quattroporte kaufen können.
     
    Nachdem er mir alles erzählt hatte, sagte Atris, »Frauen kann man einfach
nicht trauen.«
     
    Einsam
     
    Heute war sie seit Langem wieder an dem Haus vorbeigegangen. Fünfzehn Jahre
war das alles her. Sie hatte sich in ein Cafe gesetzt und mich angerufen. Ob
ich mich noch an sie erinnere, fragte sie. Sie sei jetzt erwachsen, habe einen
Mann und zwei Kinder. Beides Mädchen, zehn und neun Jahre alt, hübsche Kinder.
Die Kleine sähe aus wie sie. Sie habe nicht gewusst, wen sie anrufen könnte.
    »Erinnern Sie sich noch an das alles?«, hatte sie gefragt.
    Ja, ich erinnerte mich noch an das alles. An jedes Detail.
    Larissa war vierzehn Jahre alt. Sie wohnte zu Hause. Die Familie lebte von
Sozialhilfe, der Vater seit zwanzig Jahren arbeitslos, die Mutter früher
Putzfrau, jetzt tranken beide. Oft kamen die Eltern spät nach Hause, manchmal
auch gar nicht. Larissa hatte sich daran und an die Schläge gewöhnt, wie sich
Kinder an alles gewöhnen. Ihr Bruder war mit sechzehn ausgezogen und hatte sich
nie wieder gemeldet. Sie würde es auch so machen.
     
    Es war ein Montag. Ihre Eltern waren in der Trinkhalle zwei Ecken weiter, sie
waren fast immer dort. Larissa blieb allein in der Wohnung. Sie saß auf dem
Bett und hörte Musik. Als es klingelte, ging sie zur Tür, schaute durch den
Spion. Es war Lackner, der Freund des Vaters, er wohnte im Haus nebenan. Sie
hatte nur einen Slip und ein T-Shirt an. Er fragte nach den Eltern, kam in die
Wohnung, prüfte, ob sie wirklich allein war. Dann zog er das Messer. Er sagte,
sie solle sich anziehen und mitkommen, er schneide ihr sonst die Kehle durch.
Larissa gehorchte, es blieb ihr nichts anderes übrig. Sie ging mit Lackner, er
wollte in seine Wohnung, niemand sollte ihn stören.
    Frau Haibert, die Nachbarin aus der Wohnung gegenüber, kam ihnen im
Treppenhaus entgegen. Larissa riss sich los, sie schrie und rannte in ihre
Arme. Viel später, als alles vorbei war, würde der
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