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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Autoren: Natsuo Kirino
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ERSTES KAPITEL

    Nachtschicht

1
    Sie erreichte den Parkplatz vor der verabredeten Zeit. Als sie aus dem Wagen stieg, hüllte sie die dichte Finsternis der extrem feuchten Julinacht ein, die ihr wohl wegen der drückenden Schwüle undurchdringlich und zäh vorkam.
    Masako Katori spürte, wie ihr das Atmen schwer fiel, und sah zum sternlosen Nachthimmel auf. Ihre von der Klimaanlage im Auto trockene, abgekühlte Haut war auf der Stelle von klebrigem Schweiß benetzt.
    In die Autoabgase, die vom Shin-Oume-Highway herüberdrangen, mischte sich schwach der ölige Geruch nach Frittiertem, der typisch war für die Lunchpaket-Fabrik, in der Masakos Schicht bald beginnen würde.
    Ich will zurück, schoss es ihr durch den Kopf, als ihr der Gestank in die Nase stieg. Wie sie darauf kam und wohin sie zurück wollte, wusste sie nicht. Sicher nicht in das Haus, das sie eben erst verlassen hatte. Aber warum nicht nach Hause zurück? Und wohin denn sonst? Masako hatte das irritierende Gefühl, vom Weg abgekommen zu sein.
    Die langen Stunden von Mitternacht bis fünf Uhr dreißig würde sie ohne Pause damit verbringen müssen, am Fließband Lunchpakete zu packen. Für einen Teilzeitjob war der Stundenlohn hoch, doch die Arbeit im Stehen war hart. Es wäre nicht das erste und auch nicht das zweite Mal, dass sich hier draußen bei dem Gedanken an die bevorstehende Plackerei alles in ihr zusammengekrampft hätte, weil sie sich körperlich nicht wohl fühlte. Aber dieses ziellose Gefühl heute, das war etwas anderes.
    Masako zündete sich wie immer eine Zigarette an, und es kam
ihr dabei zum ersten Mal der Gedanke, dass sie das nur tat, um den Fabrikgeruch zu übertünchen.
    Die Lunchpaket-Fabrik stand einsam und verlassen am Ende der Straße entlang der grauen Mauer eines riesigen Automobilwerks im Herzen von Musashi-Murayama-City, umgeben von staubigen Feldern und Ansammlungen kleinerer Autowerkstätten. Eine flache Gegend, wo man den Himmel gut überblicken konnte. Der Parkplatz lag noch einmal etwa drei Minuten zu Fuß von der Fabrik entfernt, hinter dem verwüsteten Areal der alten, stillgelegten Fabrik.
    Der Parkplatz war einfach ein notdürftig planiertes, großes, freies Stück Land. Die einzelnen Stellplätze hatte man zwar provisorisch mit Klebeband markiert, aber die Linien waren durch Sand und Staub verwischt und kaum mehr zu erkennen. Die Kleinbusse und Pkw, mit denen die Arbeiter herkamen, parkten kreuz und quer.
    Man würde es kaum bemerken, wenn sich jemand im Gebüsch oder im Schatten der Autos versteckt hielte. Ein unheimlicher Ort. Masako sah sich vorsichtshalber genau um, während sie den Wagen abschloss.
    Sie hörte Räder, die sich in den Boden fraßen, und für einen kurzen Augenblick erleuchteten gelbe Scheinwerfer das Gebüsch. Ein grünes Golf Cabriolet fuhr mit aufgeklapptem Verdeck auf den Parkplatz. Auf dem Fahrersitz thronte die füllige Kuniko Jōnouchi.
    »Entschuldige, ich bin spät dran«, begrüßte sie Masako mit einer höflichen Kopfbewegung und parkte ihren Golf achtlos neben den stumpfen roten Toyota Corolla von Masako. Es kümmerte sie nicht, dass der Wagen weit nach rechts ausgeschwenkt stand. Die Geräusche – wie sie die Handbremse zog, die Autotür zuschlug oder das Verdeck einschnappen ließ – gerieten ihr unnötig laut, alles an ihr war grell und schrill.
    Masako trat die Zigarette mit der Spitze ihres Turnschuhs aus. »Ein schickes Auto hast du da.«
    Sogar in der Fabrik sorgte der Golf für Gesprächsstoff.
    »Ja, findest du?« Sichtlich erfreut fuhr sich Kuniko mit der Zunge über die Lippen. »Trotzdem ganz schön blöd, mir deswegen Schulden aufzuhalsen.«
    Masako lachte vage. Für Kunikos Schulden war offensichtlich
nicht allein das Auto verantwortlich. Sie hatte eine Schwäche für Kosmetik und Kleidung, am liebsten teure Markenartikel.
    »Komm schon, lass uns gehen!«
    Seit Anfang des Jahres hatte auf der Strecke zwischen dem Parkplatz und der Lunchpaket-Fabrik des Öfteren ein Grabscher sein Unwesen getrieben und schon mehrere Nachtschichtarbeiterinnen ins dunkle Gebüsch gezerrt und belästigt. Erst gestern hatte die Firmenleitung noch davor gewarnt, ohne Begleitung zur Arbeit zu kommen.
    Gemeinsam bogen Masako und Kuniko in den unbeleuchteten, vollkommen dunklen, ungepflasterten Weg ein. Rechter Hand reihten sich willkürlich Wohnblocks und Bauernhöfe mit großen Gärten aneinander; ein wildes Durcheinander zwar, aber man spürte die Nähe von Menschen. Die linke Seite war
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