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Von Moerdern und anderen Menschen

Titel: Von Moerdern und anderen Menschen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Wand.
    Stille.
    Ines ließ nicht locker. «Seit sie im Anzeiger geschrieben haben, dein Vater is ‘n moderner Odysseus, da… Hast du nicht die Odyssee im Regal stehen?»
    «Hab ich, ja… Von meiner Großmutter noch, hab ich aber nie gelesen.»
    «Zeig mal her…»
    Sie machte sich daran, sein mannshohes und über zwei Meter langes Bücherregal durchzuforsten. Er warf sich indessen auf seine Liege und vergrub das Gesicht in den herumliegenden Kissen. So ging es ein paar Minuten, dann hörten sie von der Diele her mehrmals Jutta Machniks Stimme: «Chris – ti – aan! Wird’s bald?»
    Christian trommelte mit den Fäusten auf die Kissen. «Ich halt das Gekreische nicht mehr aus!»
    Ines hatte die alte Schwarte gefunden. «Hier – sechzehnter Gesang, das paßt doch…» Sie stellte sich in Positur und las: «‹Lieber, erlaubst du mir, auch meine Gedanken zu sagen? / Wahrlich, mir blutet das Herz vor Mitleid, wenn ich es höre / Wie unbändig und frech in deinem Hause die Freier / Unfug treiben und dein – solch eines Jünglings! – nicht achten… ›»
    Christian drehte sich zur Wand. «Ich find das gar nicht komisch.»
    «Laß doch deine Mutter machen, was sie will.»
    «Nein, laß ich eben nicht!»
    «Sie braucht das eben», sagte Ines mit Kinsey-Kühle. «Und dein Vater is nur alle halbe Jahr mal da. Ich würd das auch so machen.»
    «So?» Er setzte sich ruckartig auf. «Is ja interessant! Dann können wir ja gleich…»
    «Ob er da nun noch mehr Geld zusammenrafft oder nicht – soll sie hier vertrocknen?»
    «Als Sohn verdauste das nicht. Wie sie sich anzieht, wie sie da immer rumsteht – die ganze Kriegsbemalung… Und dann – ich hör ja hier alles, was im Schlafzimmer passiert.»
    «Weiß denn dein Vater was von?»
    «Nein, der weiß nichts von – bis jetzt weiß er nichts von. Aber wenn der nächste Woche kommt, dann ist bestimmt einer da, der’s ihm sagt. Und dann läuft der Amok hier, das sag ich dir! Dann gibt’s ‘ne Katastrophe.»
    «Ach, darum haste die Stelle hier angestrichen…» Ines hielt ihm das Buch vor die Nase.
    «Was für ‘ne Stelle?» fragte Christian. «Ich hab keine Stelle angestrichen.»
    «Hier, bei Odysseus: ‹Jetzo habt ihr die Wahl: entweder tapfer zu streiten / Oder zu fliehen, wer etwa den Schrecken des Todes entfliehen kann / Aber ich hoffe, nicht einer entrinnt dem Todes Verhängnis! / Also sprach er; und allen erzitterten Herz und Knie›.»
    Christian sprang auf. «Gib die alte Schwarte endlich her!» Er entriß ihr das Buch und warf es auf den Schreibtisch.
    Sie steckte sich eine Zigarette an und setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches. «Und du hast nun Angst, dein Vater…?»
    «Du kennst ihn doch, wie leicht der zuschlägt. So was von jähzornig und aufbrausend. In Alaska, da beim Pipelinebau, da hat er zweimal gesessen, jedesmal wegen gefährlicher Körperverletzung. Vielleicht kriegt’s Mutter ab, vielleicht Kujawa oder die andern, die vor ihm dran waren; aber wahrscheinlich bleibt wieder alles an mir hängen: Warum haste nich besser auf Mutter aufgepaßt?»
    «Wann kommt er denn?» fragte Ines.
    «Sonnabend nachmittag. Letzten Sonntag hat er noch aus Teheran angerufen. Und heute ist Mittwoch. Überschrift: Noch drei Nächte bis zum ersten Mord.»
    «Und wenn er’s nun nicht erfährt?»
    «Der wird’s schon erfahren, so oder so. Wenn’s schon keiner von den andern sagt, wird’s ihm Mutter wohl selber sagen; ich glaub, sie will sich von ihm scheiden lassen und mit Pook nach Frankfurt ziehen.»
    «Auch das noch!» stöhnte Ines. «Gerade Pook, wo die doch mal ganz gut miteinander konnten – zwei Jahre in derselben Firma…»
    «Wenn’s nur Pook wäre, na schön: Einmal ist keinmal. Aber vor Pook, da waren’s ja noch mindestens drei andere – und das verdaut er nie und nimmer. Würd ich auch nicht: Da kann ich ihn wirklich verstehn.»
    «Seit wann weißt ‘n du, daß…?»
    «Ich hab’s schon gewußt, als er letztes Mal hier war», sagte Christian, «aber ich hab’s nicht fertiggebracht, ihm was zu sagen.»
    «Hättest du man!»
    «Du hast gut reden, du kennst ihn ja kaum. Wie der hier herumgewütet hätte…!»
    «Vielleicht hätt er auch anders reagiert.»
    «Wie denn? Kann höchstens noch sein, daß er Trinker geworden war – bei dem Konsum, den er jetzt schon hat, immer da draußen in den Camps. Meinste, das will ich? Außerdem… Schließlich ist er mein Vater; was er macht, das imponiert mir, ich find ihn irgendwie gut,
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