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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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Slow
, wie sie in Italien genannt wird. Die sogenannten »langsamen« Ortschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie Raum für Bauernmärkte bieten, feste Zeiten und Stellen für Verkaufsstände, an denen regelmäßig die regionalen Lebensmittel und Produkte angeboten werden. Sie haben mindestens einen zentralen Platz und rundherum verkehrsberuhigte Zonen, damit die Bewohner nicht lauten und schnell fahrenden Fahrzeugen ausgesetzt sind. Ihre Bürgermeister sollten auch für menschenfreundliche Beleuchtung sorgen und auf schrille Werbeplakate mit greller Neonlichtreklame verzichten. Sogenannte Errungenschaften der Moderne, die dem Menschen auf Dauer nur schaden, sollten vermieden oder ihr Gebrauch und Einsatz zumindest allgemein zur Diskussion gestellt werden. Verbesserung der Lebensqualität, kulturelle Diversität, Wertschätzung der eigenen ortsspezifischen Besonderheiten – das waren die Schlagwörter.
    |173| Petrinis Leute fanden, was sie suchten. Und wo sie es nicht fanden, regten sie es an und überzeugten die Entscheidungsträger von der Idee. Eine Leuchtreklame kann man wieder abschrauben, den Bauernmarkt qua Gesetz erlauben. Schließlich ging es wie bei allen Visionen auch um Bewusstseinsbildung.
    1999 kürten sie das Chianti-Örtchen Greve in der Toskana zur
Slow City
, bald folgten Orvieto, Positano und natürlich das piemontesische Bra, Petrinis Geburtsstadt. Die Idee verbreitete sich insbesondere in Dörfern und kleineren Städten. Denn es gab noch eine weitere Prämisse, wenn man
Slow City
werden wollte. Diesmal waren nicht die großen Orte gefragt, nicht die wichtigen oder schon seit Jahrhunderten bekannten Plätze wie Rom, Neapel, Florenz, Mailand. Nein, die kleinen durften sich melden, die bislang unbedeutenden, und sie wurden gerade wegen ihrer geringen Größe ausgezeichnet. Der Bewegung können nur Städte beitreten, die nicht Provinz- oder Bezirkshauptstadt sind und weniger als 50   000 Einwohner haben.
    Die ersten
Slow Cities,
42 an der Zahl, befanden sich noch alle innerhalb Italiens, doch ab 2006 stießen schon Norwegen, Deutschland, England und Spanien mit einzelnen Anträgen hinzu. Inzwischen ist die Bewegung derart gewachsen, dass sich längst mehr Städte dieser Art außerhalb Italiens befinden. Sie sind in großer Zahl über den ganzen Globus verteilt. Und in all diesen Orten müht man sich um die Aufwertung der autochthonen Erzeugnisse, urbane Qualität, Nutzung alternativer oder regenerativer Ideen, Gastfreundschaft, Geschmackserziehung, den Erhalt der landschaftlichen Schönheit als der Verwirklichung eines genussvollen Lebens. Vielleicht böte |174| der Umzug in solch eine Stadt, dachte ich, eine sinnvolle Alternative.
    Bücher und Fernsehsendungen berichten uns in steter Folge von Aussteigern und Neuanfängen. Ganze Familien ziehen, begleitet von wachsamen Kameraleuten, nach Kalifornien oder in die Mongolei. Selbst unser Zeitalter können wir vorübergehend wechseln. Hoher Einschaltquoten erfreute sich die Dokumentation über ein Paar, das samt seinen Kindern sechs Wochen in einer Schwarzwaldhütte unter Bedingungen wie im 19. Jahrhundert lebte. Eine dieser Serien suggeriert sogar, man könne vorübergehend die Ehefrau tauschen und der Familie eine gänzlich neue Mutter implantieren. Bezeichnenderweise behandeln diese Sendungen meist überschaubare Zeiträume, und sie enden immer damit, dass die Betroffenen in ihr vorheriges Leben zurückkehren.
    Derlei Filme nähren die Sehnsucht und Sorge, wir könnten etwas verpassen, das besser ist als unser eigenes Leben. Obwohl mich die TV-Dokumentationen nicht interessieren, kenne ich dieses Gefühl sehr gut. Ich bin voll berufstätig, widme mich gleichzeitig mit ganzer Aufmerksamkeit meiner Familie, achte darüber hinaus auf meine Gesundheit und verfolge mit gespannter Aufmerksamkeit das allgemeine Weltgeschehen. Schon das verlangt größere Konzentration, als ich einen gewöhnlichen Tag lang aufbringen kann. Trotzdem habe ich das Gefühl, etwas zu versäumen.
    In der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung heißt es dazu: »Die Angst, Leben zu versäumen, sitzt tief. Es ist dieser innere Beschleunigungsdruck, dem wir ausgeliefert sind, neben dem Beschleunigungsdruck der Außenwelt. Wir sind es umso mehr, als uns von vielen Seiten das Paradies |175| auf Erden vorgegaukelt wird. Die rasant steigende Menge der Optionen vergrößert den Erlebnis- und Erfolgshunger und treibt zu mehr Zeitverdichtung, also zu Beschleunigung. Das bedeutet auch, dass
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