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Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte

Titel: Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
Autoren: Christine Graefin von Bruehl
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der Alltag immer nur als eine Vorstufe zum Erwünschten, noch nicht Erreichten wahrgenommen wird, also wenig eigenen Wert hat.«
    Ich klimperte mich durch die deutsche Website von
Slow City
. Einige Namen, die dort auftauchten, lösten anheimelnde Erinnerungen aus. Deidesheim hatten wir öfter von meiner Studienstadt Heidelberg aus besucht, weil es dort sehr guten Wein gab. Bad Schussenried lag im Allgäu, wo ich als Kind fast jeden Sommer bei meinen Großeltern verbracht hatte. Auch Überlingen hatte ich besucht und im Hafen voller Bewunderung die schneeweißen Vergnügungsdampfer bestaunt, die von dort kreuz und quer über den Bodensee fahren.
    Ich stieß auf das Dörfchen Marihn in Mecklenburg-Vorpommern, in dem ich im Sommer zu einer Lesung eingeladen gewesen war. Seine Anmut war mir sofort aufgefallen. Nachdem ich gelesen, Bücher signiert und meine Zuhörer wieder verabschiedet hatte, war ich ein wenig im öffentlichen Teil des Schlossparks spazieren gegangen. Die Eigentümer haben einen weitläufigen Nutzgarten angelegt, in dem sie zeigen, wie man Früchte und Gemüse so anbauen kann, dass es sowohl dem Wunsch nach Kultivierung regionaltypischer Köstlichkeiten genügt als auch ästhetischen Ansprüchen. Sie pflanzen Kürbisse auf einem Hochbeet an, trimmen ihre Obstbäume auf traditionelle Spalierformen oder kombinieren Kräuter und Gewürzpflanzen mit duftenden Rosen. Regelmäßig kommen Studenten der Gartenarchitektur aus dem |176| nahen Neubrandenburg, um davon zu lernen. Der Park ist durchdrungen von der Schönheit der ausgewählten Blumen und Sträucher, komponiert zu einzelnen Inseln und harmonischen Einheiten. Er spiegelt die Nachdenklichkeit und Klugheit, die sich hinter dieser Kultur verbergen.
    Slow Cities
sind außergewöhnlich schöne Ortschaften, doch ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, meinen Lebensmittelpunkt aufs platte Land zu verlegen. Selbstverständlich kann man dort leichter sein eigenes Obst und Gemüse ziehen. In unserer Berliner Stadtwohnung haben wir nicht einmal einen Balkon, geschweige denn einen Vorgarten, um Apfel- oder Pflaumenbäume zu kultivieren. Aber ich liebe die Stadt, bin gern in der Nähe von Menschen und kann ohne Theater und Museum nicht leben. Auch wenn ich die kulturellen Angebote nicht täglich nutze, habe ich es zur nächsten Ausstellung wenigstens nicht weit. Außerdem hatten wir eine exzellente Schule für die Kinder gefunden, in der sie schließlich auch ihre Freundschaften und Beziehungen pflegten. Das kann man nicht kurzerhand auseinanderreißen.
    Wer konnte schon sagen, was uns in jener Welt der Langsamkeit erwartete. Möglicherweise war das Prädikat
Slow City
ja nur ein Versuch, Touristen in einsame Städtchen zu locken und sie zu verführen, dort Marmelade und eingelegten Kürbis zu kaufen.
    Nein, ich war sicher, dass wir nicht umziehen mussten. Ich wollte in der Stadt leben und gerade hier auf Lebensqualität setzen. Ich ließ mich nicht vertreiben. Jeder von uns muss lernen, unabhängig von seiner Umgebung ein für ihn verträgliches Maß an Geschwindigkeit zu erreichen. |177| Dann stellt sich die Zufriedenheit ganz von allein ein. Und sei es, dass sich dabei bisweilen hinter einem an der Kasse eine Schlange bildet. Dafür hatte man wenigstens ein nettes Gespräch mit der Verkäuferin geführt.

|179| 10. VON ZEHN AUF GLÜCKLICH:
TRIUMPH
    Ich habe es geschafft: Ich konnte die Zweifel beiseiteschieben und halte an meinem Konzept fest. Jetzt beschäftigt mich nur noch ein Gedanke: Wie kann ich mir dieses Lebensgefühl dauerhaft erhalten?

 
    |181| Ich habe wieder angefangen zu häkeln. Jahrelang stand das bei mir nicht mehr auf dem Plan. Während ich an meinem Laptop sitze und über treffende Begriffe, Satzwendungen und Ideen nachdenke, liegt neben mir ein angefangener Topflappen nebst Garn und Nadel. Wenn es mit meinem Text nicht weitergehen will, greife ich kurz nach meiner Handarbeit und häkele zwei Reihen weiter. Sobald mir ein neuer Gedanke gekommen ist, lege ich sie zur Seite und haue in die Tasten.
    Eigentlich wollte ich lediglich Mücke unterstützen. Sie hatte sich bitterlich beklagt, sie würde so gern häkeln, doch zu Hause hätten wir ja nicht die entsprechenden Nadeln dazu, geschweige denn das passende Garn. Also zog ich los und besorgte die nötigen Utensilien. Kaum hatte ich alles beisammen und Mücke ausgehändigt, musste ich allerdings feststellen, dass sie lediglich einreihige Werke anfertigt. Mit Nadel und Garn bewaffnet
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