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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Autoren: Christian Mähr
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erzählt. Denn zu dieser Geschichte gehören vier weitere Felder, auf denen der Zucker eingesetzt wurde: als Medizin, als Grundbestandteil für essbare Verzierungen, als Konservierungsmittel und in Form der Melasse als Ausgangsstoff für Rum. Die medizinische und künstlerische Verwendung erfanden die Araber, beides wurde im Abendland kopiert. In den medizinischen Schriften finden sich lange Listen von Krankheiten, die man mit Zucker behandeln zu können glaubte; seine Verwendung in heißen Getränken bei »Katarrh« und Husten kommt uns bekannt vor – wir müssen nur den Zucker in den Rezepten durch Honig ersetzen und sind bei heute immer noch (oder schon wieder) gebräuchlichen Hausmitteln. Natürlich würde sich heute bei Erkältung keine Anhängerin naturnaher Heilmethoden mit einer Tasse zuckergesüßten Kräutertees ins Bett legen – mit Honig sieht die Sache anders aus, er enthält ja viele »wertvolle Inhaltsstoffe«, der Zucker nur »leere Kalorien«. Vor dreihundert Jahren war es genau umgekehrt. Wer es sich leisten konnte, verwendete den extrem teuren Zucker, die anderen mussten mit Honig vorliebnehmen (auch teuer, aber nicht extrem). Je teurer das Mittel, desto besser muss es wirken. Deshalb mischt man im 14. Jahrhundert in die garantiert wirkende Medizin gegen die Pest zerstoßene Diamanten und gemahlene Perlen – und Zucker! Dass diese Mittel ebenso wenig geholfen haben wie die übrigen Pestmittel, behinderte ihre Verbreitung in Rezeptbüchern nicht. Nur die Reichsten konnten sie sich leisten, Misserfolge waren daher ebenso selten wie die Anwendung selbst: Wer hatte schon Diamanten?
    Mischt man feingepulverten Zucker mit gemahlenen Mandeln und Rosenwasser, erhält man Marzipan. Am besten geht das, wenn Zuckerrohr, Mandeln und Rosen reichlich zur Verfügung stehen, das heißt, in Vorderasien. Dort entstand es auch, wahrscheinlich in Persien. Das aus dem Sudan stammende gummi arabicum ist ein Polysaccharid, ein Vielfachzucker, der als ideales Bindemittel Skulpturen aus Marzipan, normalem Zucker und ähnliche Zubereitungen ermöglicht. Die wurden in Form von Tafelaufbauten im europäischen Spätmittelalter sehr beliebt, nachdem die Venezianer, die in Europa alle guten Sachen als Erste kennenlernten, im 13. Jahrhundert begonnen hatten, die nötigen Zutaten wie auch den Zucker aus dem Orient einzuführen. Uns erscheinen Berichte über mannshohe Tafelaufbauten aus Zuckerwerk, aus denen beim Servieren dann Zwerge, Vögel usw. hervorspringen, weniger als fantastische Übertreibungen (wir glauben davon seltsamerweise jedes Wort) denn als typische Auswüchse einer zutiefst dekadenten Adelskultur (»… und das Volk hat gehungert!«). Dabei sind jene Tafelaufbauten ein bescheidener, um nicht zu sagen matter Abglanz originalen orientalischen Zuckerdekors. Im Jahr 1040 verbrauchte der Sultan in Ägypten über 73 Tonnen Zucker, im Jahr 1412 ließ der Kalif eine Moschee ganz aus Zucker erbauen, die dann von Bettlern verspeist werden durfte. Die leichtere Verfügbarkeit von Zucker hat die Kultur des Vorderen Orients geprägt und tut das bis heute. Man spürt das im Wortsinne bei türkischen Leckereien: Irgendwie bringen sie es fertig, diese Häppchen süßer schmecken zu lassen als puren Zucker, es schmeckt schon nach etwas jenseits von süß, eine gewisse metallische Note kommt dazu.
    Der türkische Honig war in meiner Kindheit das einzige Beispiel dieser konditorischen Tradition, es gab bei uns noch keine Türken, aber schon ihren Honig, einen viele Kilo schweren weißen Block, von dem ein untersetzter Mann mit schwarzem Schnauzbart und rotem Fez auf dem Kopf das Material splitterweise herunterhackte und in Wachspapierpackungen verkaufte. Diese Köstlichkeit gab es einmal im Jahr auf einem vorweihnachtlichen Markt im Dezember, sie hieß zwar türkischer Honig, Werbung machte der Verkäufer aber mit dem Spruch »Honi, Honi aus Mazedoni!«, obwohl weder das Produkt noch der Mann aus Mazedonien stammten. Beide kamen aus Innsbruck, ich ertappte ihn dabei, wie er diesen Umstand anderen Marktfahrern in kernigem Tirolerisch offenbarte. Ich war ein bisschen enttäuscht. Dennoch habe ich mich jedes Jahr auf den Markt und den türkischen Honig gefreut – verkörpert er doch die Überlegung: Honig ist gut, Zucker ist gut, Nüsse sind gut – wie gut muss erst die Kombination aus allen drei sein? Diese absolut stichhaltige Folgerung wird nur von jenen angezweifelt, die aufgrund einer seltenen genetischen Abweichung am
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