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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Autoren: Christian Mähr
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paar Jahren versucht die Zuckerindustrie, die extreme Schlichtheit des Marktauftritts durch Produktauffächerung und Verwendung von etwas Farbe zu konterkarieren. Es gibt jetzt in Österreich »Wiener Zucker« (der mit derselben Berechtigung auch »Innsbrucker Zucker« oder »Kärntner Zucker« oder sogar »Alpenzucker« heißen könnte – der Name sagt nichts, deutet auf nichts Reales, nur auf eine diffuse Anmutung von »Gemütlichkeit« und »Kaffeehauskultur«), es gibt braunen Zucker, Kandiszucker, Gelierzucker und beim gewöhnlichen Zucker die Subsorten Feinkristall und Normalkristall. All diesen Versuchen, aus dem weißen Zucker ein hippes Produkt zu machen, haftet etwas Gezwungenes, Gequältes an – es ist offenbar schwer, dem Zucker die Gewöhnlichkeit und unüberbietbare Biederkeit auszutreiben.
    Daran ist die Industrie selbst schuld. In einer fast zweihundertjährigen Geschichte hat sie den Zucker seit dem 19. Jahrhundert aus einer Delikatesse zu einer fast dubiosen Substanz gemacht, »gewöhnlichen Dreck« sozusagen, Abstieg auf der Werteleiter durch Massenproduktion. Zucker hat eine schlechte Presse. Er ruiniert die Zähne, entzieht den Knochen das Kalzium, die dadurch schwächer werden – fatal, wo sie doch das durch Zuckerkonsum ohnehin weit überhöhte Körpergewicht tragen müssen. Zucker macht fett, die Amerikaner sind das beste Beispiel. Die essen sehr süß. Zucker ist eine Droge. Und so weiter und so fort. Die Epoche »zuckerfreier Räume«, in denen keine zuckerhaltigen Nahrungsmittel genossen noch Limonaden getrunken werden dürfen, liegen zwar noch im ou topos , im »Nichtort« der Zukunft, aber sicher nicht mehr weit entfernt.
    Die Verteufelung des Zuckers ist in der Geschichte der menschlichen Ernährung ohne Beispiel. Seit zehntausend Jahren gehört Zucker zu den beliebtesten und begehrtesten Naturstoffen überhaupt. Polynesische Seefahrer holten sich durch Kauen von Zuckerrohrstängeln jene Kraftreserven, die beim wochenlangen Rudern über die Weiten des Pazifik unerlässlich waren. Der ostasiatische Raum ist auch die Ursprungsheimat der Grasart Saccharum officinarum , die aber erst im 1. Jahrhundert n. Chr. in den Nahen Osten kam. Von dort bezogen die Römer ihren Zucker, nachdem man entdeckt hatte, dass der braune Rückstand, der beim Eindicken des Presssaftes übrig blieb, viel haltbarer war als das Rohr selber. Der Zucker war teuer und blieb es bis in die Neuzeit. Dann wurde er allmählich billiger – freilich auf Kosten riesiger Sklavenheere, die auf den Zuckerplantagen der Kolonialherren arbeiten mussten.
    Die erste große Phase der Globalisierung, die beschönigend »Zeitalter der Entdeckungen« genannt wird, brachte nicht nur zahlreiche unbekannte Pflanzen nach Europa und einen Haufen Krankheitserreger in die Tropen, sondern auch eine Plantagenwirtschaft, die in dieser Form seit der Antike nicht mehr existiert hatte. Man musste dazu nur Pflanzen und Arbeitskräfte in ein bis dato von »Wilden« bewohntes Land bringen und konnte dort sagenhafte Profite realisieren. Die wichtigste dieser Pflanzen war das Zuckerrohr.
    Um Zucker in einer subtropischen Plantage zu erzeugen, brauchte man eine Mühle zum Auspressen des Zuckerrohrs, zum Eindicken des Saftes eine Siederei, eine Trockenkammer, wo der nicht kristallisierte Rest, die Melasse, weiter Wasser verlor, und schließlich eine Brennerei, um aus Melasse Rum herzustellen, außerdem Lagerhäuser – und Unterkünfte für die Sklaven. Die brauchte man nämlich ganz besonders, ohne Sklaven hätte in vorindustriellen Zeiten eine so komplizierte Produktion nicht funktioniert. Hatte man das alles beisammen, durfte man pro acre (circa 4000 Quadratmeter) mit rund 1000 Kilo Zucker pro Jahr rechnen. Übrigens brauchte man einen Sklaven pro acre und für je fünf einen weiteren extra, denn die Verluste waren hoch. Das Zuckerrohr muss, wenn es reif ist, sofort geschnitten, in der Drei-Walzen-Mühle ausgepresst und der Saft gesotten und geklärt werden, die Feuer unter den Töpfen wurden mit dem Pressrückstand genährt. Arbeitsschutzvorrichtungen gab es auch, zum Beispiel hing an jeder Mühle eine Machete, um eine Hand, die etwa zwischen die Walzen geriet, sofort abhacken zu können …
    In der Neuen Welt wurde der Zucker zu einem Boomstoff, der den »Atlantischen Dreieckshandel« antrieb. Das ging so: Im Herbst fuhren die europäischen Segelschiffe mit Handelswaren nach Westafrika. Durchaus nicht nur mit dem sprichwörtlichen billigen Tand,
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