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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Autoren: Christian Mähr
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Süßen keinen Geschmack finden. Türkischer Honig – eine der wunderbarsten Köstlichkeiten, die Menschengenie auf dieser Erde ersonnen hat! – schmecke nur »süß« und »langweilig«, sagen sie. Was soll man diesen bedauernswerten Menschen antworten?
    Vielleicht sollte man ihnen gegenüber auf den hohen praktischen Wert des Zuckers als Konservierungsmittel verweisen. Exotische Früchte konnten nur eingekocht in Zucker und mit einem Überzug aus Zucker so haltbar gemacht werden, dass sie den Transport nach Europa überstanden. Sie waren geradezu astronomisch teuer. Der englische Zuckerhistoriker Sidney Mintz erwähnt ein Haushaltsbuch vom Ende des 16. Jahrhunderts, in dem der Kauf von zwei Pfund Marmelade mit fünf Shilling drei Pence verzeichnet ist; eine Summe, mit der man ein Pfund Pfeffer oder neunundzwanzig Pfund Käse kaufen konnte. Die Preise blieben bis in die Zeit der Industrialisierung hoch – dann allerdings setzt ein markanter Umschwung ein. Nach der Aufhebung der Zuckerzölle in England setzt eine geschichtlich beispiellose Massenverwendung von Zucker ein. Die britische Marmeladenindustrie macht ihren Hauptumsatz mit Produkten, die für die untersten Einkommensklassen konzipiert waren – mit den Früchten, aus denen die jeweilige Marmelade angeblich hergestellt wurde, hatte die süße Pampe nicht viel zu tun, auf jeden Fall enthielt sie aber eine Menge Zucker. Das Marmeladenbrot ersetzte die reichhaltigeren breiartigen Speisen, die früher üblich gewesen waren. Dazu trank man stark gesüßten Tee. Marmeladenbrot und süßer Tee ersetzten in Arbeiterhaushalten eine ganze Mahlzeit, schreibt Mintz.
    Die Vorteile billiger Marmelade statt teurer tierischer Fette blieben auch den Kapitalisten auf dem Kontinent nicht verborgen. Als durch den Rübenanbau eine eigene Zuckerquelle erschlossen wurde, stieg auch in Deutschland die Beliebtheit der Marmelade. Im Ersten Weltkrieg wurden die deutschen Soldaten statt mit Fett mit Marmelade verpflegt, was bei den verbündeten Österreichern zur spöttischen Bezeichnung »Marmeladinger« geführt haben soll – so behauptet es das Internet; in meiner Familie hat man sich erzählt, der Ausdruck beziehe sich auf die sparsamen deutschen Touristen der Zwischenkriegszeit, die ihren Österreichurlaub mit reichlich von zu Hause mitgebrachter Marmelade billig hielten. Wie dem auch sei, der Ausdruck existiert in Ostösterreich noch immer, auch wenn die Deutschen heute nicht mehr oder weniger Marmelade essen als die Österreicher.
    Im Massenverbrauch von Zucker zeigt sich sehr schön das dialektische Prinzip vom Umschlag der Quantität in Qualität – chemisch ist der Zucker auf der Hochzeitstafel von Heinrich IV. im Jahre 1404 der gleiche wie der Zucker auf dem Frühstückstisch des englischen Arbeiters viereinhalb Jahrhunderte später; die soziale Bedeutung hat sich aber fast ins Gegenteil verkehrt.
    Wie war das möglich? Warum wurde der Zucker zu einem Massenprodukt? Um die Mitte des 13. Jahrhunderts kostete das Pfund Zucker zwei Schilling, Ende des 15. Jahrhunderts aber nur noch vier Pence, ein Sechstel. Die atlantischen Inseln Madeira und die Kanaren hatten mit dem Zuckeranbau begonnen, der Preis fiel. In der Preisgeschichte des Zuckers wird ein Schema sichtbar: Jedes Mal, wenn der Preis durch äußere Umstände anstieg, sank die Nachfrage, um bei nachgebenden Preisen sofort wieder zu steigen – auf Höhen, die vorher für undenkbar gehalten wurden. Das Geschäft mit dem Zucker widerlegte die herrschende Wirtschaftstheorie des Merkantilismus, wonach die Nachfrage für jedes Gut im Prinzip eine Naturkonstante ist. Steigende Nachfrage oder Nachfrage nach ganz neuen Gütern war darin nicht vorgesehen. Die Ausweitung der Zuckerproduktion auf die »Zuckerinseln« der Karibik Santo Domingo, Jamaica und Kuba und die Aufnahme des Anbaus im portugiesischen Brasilien ließen den Zuckerpreis im 17. Jahrhundert fallen. Im Jahre 1600 kostete der Zucker wieder zwei Shilling (Inflation!) pro Pfund, 1865 nur noch acht Pence. Von 1600 bis 1740 verzwölffachte sich der Konsum von Zucker.
    Damit sind wir schon in der Nähe des magischen Jahres 1747 angelangt, als dem Berliner Apotheker Andreas Sigismund Marggraf der Nachweis gelang, dass der in der ordinären Runkelrübe in winziger Menge vorhandene süße Stoff genau derselbe war wie der im tropischen Zuckerrohr zu immerhin 15 Prozent vorkommende: nämlich Zucker. Marggraf leitete die königliche Hofapotheke Zum goldenen Bären in
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