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Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten

Titel: Von Alkohol bis Zucker - 12 Substanzen die die Welt veränderten
Autoren: Christian Mähr
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Sie feststellen, dass es Ihnen nicht gelingt, das eine Bild mit dem anderen durch Verschieben zur Deckung zu bringen. Man nennt diese seltsame Eigenschaft Chiralität – oder Händigkeit , weil das einfachste Beispiel dafür unsere Hände sind. Die linke Hand ist das Spiegelbild der rechten; wenn wir sie passgenau übereinander legen wollen, Daumen auf Daumen, jeder Finger auf seinem Pendant der anderen Seite, dann geht das nur, wenn die Innenflächen der Hände aufeinanderliegen, das heißt, die eine Hand weist uns die Innenfläche zu, die andere den Handrücken.
    Warum ist das von Bedeutung? Wir alle haben (hoffentlich!) zwei Hände, also ist das Vorkommen spiegelbildlicher Strukturen ganz normal für uns. In der Substanzenwelt ist das anders: Von der Saccharose existiert auf der ganzen weiten Welt nur die eine Form, in unserem Beispiel die linke. Man nennt sie aus Gründen, die hier nicht interessieren, die »D«-Form. Von lateinisch »dexter« für »rechts«. Die andere, die »L«-Form (von laevus für »links«) gibt es nicht in der Natur. Von einigen Zuckern hat man die L-Form künstlich hergestellt. Zum Beispiel vom linken Teil der Formel, dem Sechser-Ring. Das ist der bekannte Traubenzucker, die Glucose. Die L-Form schmeckt im Vergleich zur natürlich vorkommenden D-Form weniger süß und kann vom Organismus nicht abgebaut werden, um daraus Energie zu gewinnen – was geschieht mit solchen Substanzen? Der Organismus versucht sie so schnell wie möglich loszuwerden, L-Glucose kann man zur Darmreini gung verwenden. Sie muss aber im Labor hergestellt werden und ist nicht billig.
    Die meisten biologisch wichtigen Substanzen zeigen Händigkeit und kommen nur in einer der beiden Formen vor. Das gilt auch für viele Medikamente: Nur eine der beiden möglichen Formen ist wirksam. Bei chemischen Synthesen entstehen aber fast immer beide Formen im Verhältnis 50:50; die eine, nutzlose Hälfte wird als Ballast mitgeschleppt.
    Kehren wir zur einfacheren Summenformel zurück. Seltsame Zahlen: 22 Wasserstoffatome, 11 Sauerstoffatome, das ist schon ein merkwürdiges Verhältnis. Teilt man beide Zahlen durch 11, kommen auf jedes Sauerstoffatom gerade 2 Wasserstoffe, das ist eine viel einfachere und allgemein verbreitete Summenformel: H 2 O. Wasser. Sieht so aus, als ob im Zucker 12 Kohlenstoffatome und 11 Wassermoleküle irgendwie zusammengekommen wären – spendieren wir von außen ein zusätzliches H 2 O, dann steht es 12:12, wieder gekürzt 1:1, also ein Kohlenstoffatom und ein Molekül Wasser. Tatsächlich zeigen einfachere Zucker wie der Traubenzucker C 6 H 12 O 6 genau dieses einfache Verhältnis. Das ist den Chemikern relativ früh aufgefallen. Man nannte die verschiedenen Zucker daher »Kohlehydrate« – »Kohle« bezieht sich auf den enthaltenen Kohlenstoff, »Hydrat« auf das Wasser. Kohlehydrat klingt ähnlich wie Kohlenwasserstoff, der nur aus Kohlenstoff und Wasserstoff besteht, Benzin und Diesel zum Beispiel. Der Unterschied liegt im Sauerstoff. Wenn irgendwo Sauerstoff dazukommt, nennt man das Oxidation , schlichter: Verbrennung. Das Kohlehydrat erscheint in dieser Sichtweise als eine Art Benzin, das nicht vollständig verbrannt wurde: Der Wasserstoff wurde schon zu Wasser oxidiert, der Kohlenstoff aber nicht zu Kohlendioxid. Ein Teil der Energie, derentwegen man ja überhaupt alles Brennbare verbrennt, steckt also noch drin im Kohlehydrat. Gar nicht wenig: Rund 60 Prozent der Energie, die man bei vollständiger Verbrennung nutzen könnte, sind im Zucker noch enthalten! Das ist ein ganz entscheidender Punkt, auf den wir noch zurückkommen werden.
    Der Zucker, der uns jeden Tag begegnet, leidet unter dem Nimbus, die langweiligste Substanz zu sein, die man sich denken kann. Er ist weiß, geruchlos und allgegenwärtig. Zu jedem Kaffee oder Tee gibt es ihn dazu, braucht man mehr, wird er in Kilopaketen aus weißem Papier angeboten, die im Aufdruckdesign noch den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts verhaftet sind: eine Farbe, meistens blau, schlichte Botschaft. Tatsächlich identifiziert man auf der Packung das Wort »Zucker«; keine Phantasienamen wie bei den meisten modernen Lebensmitteln, keine Farborgien, keine Jugendsprache, dafür auf der Rückseite doch tatsächlich noch kleingedruckte Rezeptvorschläge für »Marillenknödel« oder »Linzer Torte«, deren Auftauchen auf diesen Packungen offenbar durch nichts anderes gerechtfertigt ist als durch die Verwendung von ebendiesem Zucker. Erst seit ein
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