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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Autoren: Wolfgang Luehrs
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das Leben ausmacht: genießen können und Glück zulassen. Wenn dieser Wille, etwas umzusetzen, dich zu beherrschen beginnt, dann ist der wichtigste Schritt getan und du versetzt Berge.
    Vor 20 Jahren bin ich mit meiner Familie der Arbeit wegen nach Lüneburg gezogen. Meine Kinder waren klein, nun sind sie erwachsen. Erschrocken blicke ich mich nach den vergangenen Jahren um und sehe den langen Schatten der Vergangenheit hinter mir, und vor mir erblicke ich einen Horizont, den ich bis dahin gar nicht wahrgenommen habe. Ich begreife, dass auch mein Leben endlich ist, dass es nicht mehr so viele Träume geben wird, die man umsetzen kann. Es ist nicht der Slogan „Das kann doch nicht alles gewesen sein“, der mich treibt. Mein Leben war bis hierher gut, da war nichts falsch, und auch die Energie, die einen mit Leidenschaft vorantreibt, ist noch nicht erloschen. Vielleicht ist die Tatsache, dass das Großziehen der Kinder bewältigt ist, sie das Haus verlassen, im Beruf der Zenit hinter einem liegt und das Leben zu zweit von vorne beginnt – allerdings nun mit der Gewissheit des Altwerdens –, ein Grund, innezuhalten, Abstand zu nehmen, sich neu zu orientieren, um sich nicht – ohne es zu merken – in dem sich langsam neigenden Leben zu verirren und die Lust am Sein zu verlieren.
    Das Bedürfnis, die Alltagsroutine aufzubrechen, ist übermächtig geworden. Ich will die Zeit, die immer schneller läuft, umleiten, ich möchte Zeit gewinnen. Auch bin ich neugierig, was mit mir passiert, wenn ich so lange zu Fuß unterwegs bin, so vollständig anders lebe. Halte ich die Strapazen aus, verändere ich mich, passiert etwas mit mir, was ich nicht erwarte, trifft mich eine Erleuchtung, von der die Pilger erzählen?
    Etwa ein halbes Jahr vor dem Start beginne ich mit den Vorbereitungen und ziehe nach und nach meinen Wanderbruder hinzu. Tatsache ist, dass wir am 14. Juni 2008 wieder daheim sein müssen, wir also sechseinhalb Wochen zur Verfügung haben. Es gibt zwei ausgearbeitete Fernwanderwege – Wege, die Deutschland von Nord nach Süd durchziehen. Der E1 und der E6. Zwei Gründe sprechen nicht für diese Routen: Einmal sind sie zu lang für die uns zur Verfügung stehende Zeit, zum anderen ist da der Ehrgeiz, einen eigenen Weg zu finden. So wähle ich einen Grobkorridor entlang des elften Längengrades mit Füssen als Endziel, da es nahezu lotrecht unter Lüneburg liegt. Circa 1.200 Kilometer sind das Maximum für die Gesamtstrecke, und bei einer angenommenen Tagesleistung von durchschnittlich 29 Kilometern werden es 41 Wandertage, plus drei Ruhetage. Die Devise ist, so wenig Autostraßen wie möglich und so viel Landschaft, wie es nur irgendwie geht, und nur im Notfall mit dem Bus, Zug oder per Anhalter.
    Im Internet mache ich mir ein Bild von Deutschland und seinen Naturparks innerhalb unseres Grobkorridors. Und da gibt es einige, die wir durchlaufen wollen, sie führen sozusagen unseren Weg: Harz, Eichsfeld, Hainich, Thüringer Wald, Fränkische Schweiz, Altmühltal, Augsburg Westliche Wälder. Ich besorge drei Karten im großen Maßstab, die den gewählten Korridor abdecken. Sie dienen als Orientierung, damit wir bei der Detailfestlegung der Marschroute nicht irgendwann Richtung Prag oder Paris laufen. Dann werden Karten im Maßstab 1:50.000 organisiert – eine langwierige Internetrecherche, die sich über Wochen hinzieht. Endlich ist das Material vollständig und wiegt 1.800 Gramm, für jeden also fast ein zusätzliches Kilo. Was tun? Karten aufteilen, loslaufen und das Gewicht erdulden?
    Ich weiß von vielen Wanderungen zuvor, dass man sich auch mit Karte sehr schnell verlaufen kann, wenn man nicht andauernd inne hält und diese studiert. Und wenn man sich verlaufen hat, ist es in freier Natur sehr schwierig, mit ihrer Hilfe seinen Standort zu bestimmen. Hinzu kommt, dass Karten bei Regen ruckzuck aufgeweicht und am Ende nicht mehr lesbar sind. Also greife ich zur Technik und besorge mir ein Trekking-Navigationsgerät, das Stöße und Regen abkann. Es sollte bis auf wenige Ausnahmen ein wunderbares Leitsystem sein.
    Nun kann man sich allerdings nicht wie beim Navi fürs Auto einfach eine Wanderroute von Lüneburg nach Füssen mit der Zusatzangabe „schönster oder kürzester Weg“ anzeigen lassen, sondern man muss auf einer digitalen Karte von Deutschland, die man auf die Festplatte eines Computers lädt, Weg für Weg mit der Maus eingeben.
    So sitzen Martin und ich an vielen spannenden Abenden zusammen und
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