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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Autoren: Wolfgang Luehrs
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öde und bieten keine Abwechslung, machen müde. Aber damit mussten wir ja rechnen. Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass jeder Quadratmeter für irgendetwas nutzbar gemacht worden ist.
    Es geht weiter auf der Landstraße. Hinter Suderburg, einem Flecken, der die Fachbereiche Wasserwirtschaft und Bauingenieurwesen der Lüneburger Universität beherbergt, biegen wir endlich auf einen Waldweg ab, der eine Weile an der Hauptverbindungsstrecke der Züge Hamburg – Hannover entlangführt, zur Freude meines Begleiters, der alles, was mit Bahn zu tun hat, ebenso liebt wie Musik und Essen. Jedes Mal, wenn ein Zug vorbeirast, bleibt er stehen, nennt mir die Abfahrtszeit aus Hannover oder Hamburg und lächelt mich mit glücklichen Augen an.
    Ein Traktor nähert sich. Auf seinem Anhänger sitzt eine fröhliche Vatertagsgesellschaft junger Männer. Die Luft ist voller lärmender Heiterkeit. Mit großem Hallo halten sie neben uns an, einige steigen ab.
    „Wo wollt ihr denn hin? Wollt ihr Vatertag über eine ganze Woche lang feiern, bis ihr die Rucksäcke leer getrunken habt?“
    Gelächter und fröhliches Zuprosten. Ein Bier lehne ich dankend ab. Ich bin zu müde und will nichts weiter, als endlich ankommen. Mein Rücken schmerzt gewaltig, und im Schritt hat das Scheuern der langen Hose eine schlimme Wunde verursacht. Ab morgen werde ich das Ding nie wieder anziehen, egal wie kalt es auch werden mag.
    Martin hätte gern ein Bier getrunken, erklärt sich aber mit mir solidarisch. Als die Jungs erfahren, was wir vorhaben, werden wir respektvoll beäugt und ausgefragt. Schließlich machen sich einige von ihnen in den Wald auf, um die Bäume zu begutachten. Sie wollen einen Maibaum schlagen, und der muss hoch, schlank und gerade gewachsen sein. Eine Weile beobachten wir das Treiben, dann machen wir uns wieder auf den Weg.
    Endlich, nach 31 Kilometern, liegt in einer sanften Talmulde Hösseringen vor uns, ein kleines Heidedorf am Nordrand eines riesigen Waldgebietes, das sich bis zu 20 Kilometer dahinter erstreckt. Die tiefstehende Sonne erreicht noch die Häuser und Gehöfte und taucht sie in goldenes Licht. Wir können von der Höhe das grüne Wipfelmeer bis zum Horizont einsehen. Wellig ist die Landschaft nun wieder, nichts stört den Blick und den tiefen Frieden. Es ist das Land von Schneewittchen und den sieben Zwergen, und der Zauber, der von ihm ausgeht, entschädigt mich für den zurückliegenden Schattentag. Ich atme durch, und die Last des Tages fällt von mir ab. Das sind sie, die Momente, für die es lohnt, sich zu quälen, und es ist wahr: So ein Erlebnis erfüllt sich in seiner ganzen Tiefe nur, wenn man es als Belohnung empfindet, so wie der Ausblick von einem Berg um so vieles reicher erscheint, wenn man ihn zuvor bestiegen hat. Und es stimmt auch: Wer weite Strecken wandern will mit Stock und Hut und Rucksack, der muss sich quälen können, seine Grenzen ausloten und manchmal sogar überschreiten.
    Eine Rundwanderung durch den Ort entmutigt uns – keine Gasthöfe. Doch beim zweiten Durchmarsch entdecken wir ein Hinweisschild: „Dorf-Café Alte Schule“ oder so ähnlich. Wir folgen dem Schild, und wenig später stehen wir vor dem Gebäude, queren ein als Essraum hergemachtes Klassenzimmer und lassen uns auf einer traumhaften Terrasse mit Blick in den Garten nieder. Wir sind nicht allein. Mehrere Ausflügler sitzen an den Tischen und begrüßen uns interessiert, bestaunen unsere schweren Rucksäcke mit den darunter geschnallten Schlafmatten.
    Ich erkläre mich bereit, die Wirtin im Tresenraum nach einem Nachtquartier zu fragen und, egal wie die Antwort ausgeht, zwei Schwarzbier mitzubringen. Ich bin gespannt. Gleich wird über unser Schicksal für diese Nacht entschieden sein. Ich habe aber nicht die geringste Vorstellung, was wir tun wollen, wenn ich einen abschlägigen Bescheid bekomme. Der Gedanke, draußen schlafen zu müssen, gruselt mich. Bloß nicht heute, vielleicht morgen, besser erst nächste Woche.
    Hinter der Theke steht eine ältere Frau. Ich begrüße sie und frage:
    „Haben Sie ein Zimmer für zwei Fernwanderer? Mein Freund und ich, wir kommen aus Hamburg und wollen durch Deutschland laufen.“ Hamburg klingt besser, weil es weiter weg ist.
    „Alles belegt. Tut mir leid.“
    Hart falle ich auf den Boden der Tatsachen. Der Schwebezustand hat sich blitzartig aufgelöst. Frustriert frage ich nach anderen Übernachtungsmöglichkeiten. Sie schüttelt den Kopf.
    Oje, das Leben ist hart.
    Sie mustert
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