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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Autoren: Wolfgang Luehrs
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hängt mir nach. Unwirklich erscheint es mir nun angesichts der Stille und der Einsamkeit.
    Doch schon bald ist mein Kopf wieder frei. Wir beide sind ja nur Unbeteiligte, immer unterwegs, immer auf dem Sprung.
    Ein sanftes Glücksgefühl überschwemmt mich, verursacht durch diese friedliche und zeitlose Umgebung. Ich merke, wie der Weg mich langsam an sich bindet und vereinnahmt.
    So traben wir eine ganze Zeit vor uns hin, und der Wald will nicht enden. Hin und wieder wird er etwas lichter, wenn Buchen und Eichen mit noch wenig oder gar keinem Laub den Weg säumen.
    Martin beginnt mich abzudrängen. Er geht rechts von mir und hat einen Linksdrall. Zunächst versuche ich, gegenzusteuern oder durch Beschleunigung etwas Platz zu gewinnen, aber das wird lästig, und die Drängelei hört nicht auf.
    „Martin, merkst du eigentlich, dass du mich langsam, aber sicher in den Wald schiebst?“, frage ich.
    „Wieso, ist doch genug Platz.“
    „Aber du läufst schief und ständig an mich ran.“
    „Ach so. Fällt mir gar nicht auf.“
    Dann stapft er eine Weile ziemlich weit am rechten Wegesrand, bis er irgendwann wieder auf meiner Seite angelangt ist und das Spiel von vorne beginnt.
    „Was machst du eigentlich, wenn du alleine gehst? Läufst du dann im Kreis?“
    „Aber ich lauf’ doch nie alleine, zumindest nicht mit Rucksack und schon gar nicht im Wald.“
    Hin und wieder merkt er es, murmelt: „Das sagt meine Frau auch immer zu mir“, und macht einen Ausfallschritt nach rechts.
    Wir laufen dann doch besser hintereinander, denn auch mein Wechsel auf Martins rechte Seite hat die Situation nicht wesentlich verbessert, weil er dann eben in diese Richtung drängt. Irgendwann werde ich mich daran gewöhnen und versuche, meine leichte Gereiztheit zu unterdrücken.
    Über drei Stunden sind vergangen, niemandem sind wir begegnet. Je länger der Weg durch den Wald führt und sich in schmalen Pfaden über den mit Heidelbeerbüschen, Bärlauch und Giersch bedeckten Waldboden wie über einen grünen Teppich windet, desto mehr werden wir zu einem Teil von ihm. Die Distanz zwischen uns und der Natur schwindet. Die Harmonie, die entsteht, ist mit Händen greifbar und so unmittelbar, dass einem schier der Atem stockt. Eine archaische Verbindung erwacht zum Leben, und du spürst, dass es gut so ist.
    An einer bemoosten Stelle legen wir uns ab, essen unsere Brötchen und den Käse, strecken uns aus und dösen. Mein Hirn hat auf Standby geschaltet, ein angenehmer Zustand. Kein Grübeln, keine Sehnsucht, keine Zweifel – vielleicht überschreite ich gerade die Grenze. Ich schließe die Augen und schlafe für einen Moment ein.
    Erst am Nachmittag führt uns der Weg wieder in eine offene Landschaft. Nach dem vielen Grün um uns herum blenden nun die knallgelben Rapsfelder zwischen den Wiesen unter dem sonnigen Himmel.
    Der Tag beginnt sich zu dehnen, der Rucksack drückt, die Füße brennen und ein Gewitter zieht auf. Wir streifen die Windjackenüber – den Regenponcho herauszukramen und überzuziehen, ist uns zu umständlich, wir sind müde und hungrig.
    Das Gewitter zieht vorbei, nur ein kurzer Schauer trifft uns. Endlich, gegen halb fünf, erreichen wir Steinhorst und wünschen uns nichts Sehnlicheres als eine Wirtschaft. Es gibt ein Café, aber es hat geschlossen, einen Gasthof, der ebenfalls nicht geöffnet hat, und einen Italiener, der erst am Abend aufmacht. Dort lassen wir uns schließlich erschöpft im Garten des Restaurants nieder, entledigen uns der Stiefel und Socken und starren auf den öden Platz: ein schäbiger, vernachlässigter Garten mit ein paar Plastikstühlen und -tischen, umgeben von einer Mauer aus Waschbeton, auf dem Boden altes Laub und Papier. Dies ist also im Moment unsere Welt. Verloren hocken wir auf unseren Stühlen. Die Füße dampfen, sind geschwollen, und die Socken stinken zum Himmel. Statt Pizza und Bier schiebe ich mir einen klebrigen Powerriegel rein und trinke lauwarmes Wasser. So ist es halt, man muss es ertragen.
    Wir diskutieren, wie es weitergehen soll. Es ist später Nachmittag, wahrscheinlich steht die erste Übernachtung im Freien an. Die Alternative wäre, bis Müden an der Aller zu laufen, wo man sicher einige Hotels finden würde. Aber dann hätten wir insgesamt gut 40 Kilometer auf dem Buckel, und das übersteigt mein Leistungsvermögen. Ich bin ja nicht auf der Flucht.
    Ich plädiere dafür, Verpflegung für den Abend zu organisieren und dann die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz
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