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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Autoren: Wolfgang Luehrs
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mir, unsere Bedienung zu überzeugen, uns am nächsten Tag für zehn Euro nach Hohne zurückzufahren. Damit haben wir das Problem, unseren Weg wieder aufzunehmen, gelöst, und es treibt uns ins Bett.
    Ein anstrengender, letztlich aber schöner Tag geht zu Ende. Das Anderssein beginnt mich anzuturnen. Die Gemeinsamkeit mit Martin ist nicht anstrengend, auch wenn er mich heute am Schluss der Etappe geschickt vor sich her getrieben hat, und die unerwarteten Szenenwechsel während solch eines Wandertages haben etwas Kribbelndes. Ich falle wie ein Kartoffelsack in eines der Betten und schlafe auf der Stelle ein.

E IN ALTER M ANN UND EIN VIEL
ZU LANGER W EG
    SAMSTAG, 3. MAI
HOHNE – BRAUNSCHWEIG, 47 KM
    Ein maikühler Morgen mit einem frühlingsblauen Himmel und einer strahlenden Sonne begrüßt uns. Gut gelaunt nehmen wir das reichhaltige Frühstück ein, und um halb neun sitzen wir in dem Golf unserer freundlichen Bedienung, einer redseligen, älteren Frau. Sofort geht es ins Eingemachte, und während der kurzen Fahrt gelingt es ihr, ihr schweres Leben vor uns auszubreiten.
    Sie erzählt von der an Alzheimer erkrankten Mutter, von ihrem schizophrenen Bruder, von der ganzen Last der Welt. Sie hat in einer Bäckerei gelernt, dort eine Weile gearbeitet, in einem Schuhladen ausgeholfen und ist vor 13 Jahren als Hilfe im Heidehof gelandet und verdient mit diesem und weiteren diversen Aushilfsjobs ihren Lebensunterhalt. Wahrscheinlich ist sie jünger, als sie aussieht. Die Maloche und die zusätzliche Belastungen durch die Krankheiten in ihrer Familie haben sie gezeichnet, man sieht es ihr an.
    Seltsam, denke ich, drei Tage sind wir unterwegs, und zwei eher von der Last des Lebens gezeichneten Menschen sind wir begegnet. Wenn das so weitergeht, werden es am Ende an die 30 bedrückende Schicksale sein.
    Du liebes Deutschland, was machst du mit deinen Menschen, oder ziehen Martin und ich die Mühseligen und Beladenen an? Vielleicht sollten wir trotz der Plackerei einfach immer nur strahlend durch die Dörfer laufen und die Menschen mit unserer Fröhlichkeit anstecken. Aber dazu bin ich zu ernst und ist Martin nicht mitreißend genug.
    Wir versorgen uns in einem kleinen Laden mit Brötchen, Wurst und Käse, und ich navigiere uns auf unseren Treck. Das Gerät habe ich übrigens oft in der Hand. Jedes Mal macht es ein schmatzendes Geräusch, wenn ich es mit der rechten Hand aus seinem Klettverschluss von dem linken, über die Brust laufenden Rucksackgurt löse. Das wäre etwas für einen niedersächsischen Radiosender, bei dem mit Geräuscheraten viel Geld gewonnen werden kann.
    Wir verlassen den Ort, und ich bewege mich schwerfällig neben meinem fröhlich dahinwandernden Kumpel. Neidvoll linse ich zu ihm hinüber. Machen zwölf Jahre Altersunterschied so viel aus, oder geht er einfach besser? Ich entscheide mich für die erste Variante und beschließe, die Position des rüstigen Senioren einzunehmen, der seine Blessuren mit Würde trägt. Mein rechter Hacken rebelliert, und dem Rücken geht es auch nicht gut, die Würde muss ich mir schwer abringen.
    Wir wollen heute so weit laufen, wie uns die Füße tragen – für mich eine echte Herausforderung. Bis Braunschweig kommen wir sicher nicht. Einer meiner Brüder lebt dort, und er wird uns, wenn wir uns melden, mit dem Auto abholen. Das ist beruhigend, nur wann das sein soll, ist eben nicht klar.
    Vor uns liegt die weite Feldmark der norddeutschen Tiefebene wie ein grün-gelber, mit leichten Brauntönen durchsetzter Flickenteppich. Die Rapsfelder leuchten in einem unglaublich intensiven Gelb, und darüber spannt sich der klare, blaue Himmel. Nur einige kleine, weiße Wölkchen ziehen langsam über ihn hinweg. Lärchen tirilieren mit einer Inbrunst, als ginge es um den Einzug ins Finale, und über ihnen kann man als kleine Punkte gerade noch die flüchtigen Bewegungen der Schwalben erkennen. Wir folgen einem staubigen Feldweg. Hin und wieder findet sich ein einzelner Baum, etwas Buschwerk oder eine schmale Hecke säumt für eine Weile den Weg. In der Ferne sieht man die roten Dächer kleiner Dörfer.
    Zunächst trägt mich diese friedliche, von dem schönen Wetter erfüllte Stimmung. Ich fühle mich leicht und beschwingt, obwohl ich nicht rund laufe. Diesmal ist es nicht die Unberührtheit der Natur, die mich beseelt – ich befinde mich ja in einer stark landwirtschaftlich genutzten Gegend –, sondern die Fröhlichkeit, die dieses frühlingsjunge, sonnenüberflutete Land in mir
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