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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Autoren: Wolfgang Luehrs
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mich und zögert: „Wollen Sie was trinken?“
    „Ja, zwei von den Schwarzbieren!“
    „Warten Sie eine Weile, ich kann vielleicht was klären“, fährt sie fort und reicht mir die Biere.
    „Wir sitzen auf der Terrasse“, rufe ich im Weggehen.
    Das hätte ich mir auch sparen können, denn im Thekenraum vor der Terrasse sitzt sowieso niemand.
    Der erste tiefe Zug aus dem Glas nach diesem anstrengenden Wandertag ist Genuss pur. Es prickelt und perlt wie bei Dittsche, jener Kultfigur im Bademantel, die in einem Hamburger Imbiss mit einer Flasche Bier in der Hand den Inhaber mit Lebensweisheiten zutextet. Die Beine ausgestreckt, den müden Körper in den Stuhl gedrückt, das Glas in der rechten, ein Zigarillo in der linken Hand, das Gefühl, etwas geleistet zu haben, und die Abendsonne im Gesicht, was kann es im Moment Besseres geben.
    Als das Glas fast geleert ist, kommt die Wirtin auf uns zu und verkündet die frohe Botschaft: Sie habe zwei Radfahrer ins Nachbardorf zu einer anderen Unterkunft geschickt. Nun sei ein Zimmer in ihrem Haus frei. Zu essen gäbe es bei ihr allerdings nur noch Heidegulasch mit Spätzle.
    Jetzt löst sich unsere Anspannung vollends. Glücklich und zufrieden ordern wir das zweite Bier, klatschen uns mit den Händen ab und beantworten die neugierigen Fragen der übrigen Gäste. Stolz erzählen wir von unserem Projekt, und wie schon heute Nachmittag, als wir dem Trecker mit den jungen Leuten begegnet sind, spüren wir den Respekt, den man uns entgegenbringt.
    Der samtene Abend senkt sich langsam auf uns herab. Meine Blicke bleiben im Garten an dem Meer von Gänseblümchen auf dem Rasen hängen. In den Beeten stehen die Tulpen und Narzissen in voller Pracht. Die gelben Blüten der Ranunkelsträucher leuchten in der Dämmerung, und an der Hauswand schimmern in noch feinem, violettem Glanz die eben sich bildenden Blütendolden des Blauregens.
    Die Gäste verlassen das Lokal, wir sind allein. Für eine kurze Weile herrscht vollkommene Stille, bis wir unsere Sachen schnappen und die Treppe hinauf in unser Zimmer marschieren.
    Zwei alte Betten aus massivem Holz stehen jeweils an einer Wand, daneben zwei uralte Nachttischschränke. Gott sei Dank kein Ehebett. Das ist etwas, was ich hasse, wenn ich mit Leuten unterwegs bin, die mir nicht ganz und gar vertraut sind. Diese Nähe im Bett hindert mich dann an einem entspannten Schlaf.
    Ansonsten ist der Raum eine Mischung aus Kinderzimmer und Puppenstube: in mehreren Regalen Spiele, Spielzeug, Nippes und Bücher, in der Mitte ein kleiner, runder, glänzend lackierter Sofatisch mit einer Spitzendecke, über den Betten an der Wand zwei Jugendstillampen; beherrscht wird der Raum von einem riesigen Spiegel mit gedrechseltem, dunklem Holzrahmen. Er ragt bis an die Zimmerdecke und ruht auf einer Anrichte an der Wand neben einem der Betten.
    Das Badezimmer müssen wir uns mit vier jungen Frauen teilen, die im Nachbarzimmer übernachten. Sie sind Gäste einer Hochzeit. Hösseringen ist ein beliebter Ort zum Heiraten, über 60-mal im Jahr reisen Hochzeitsgesellschaften an, belegen das einzige Hotel, die privaten Zimmer und eben auch die Räumlichkeiten unserer Wirtin. Somit haben wir also verdammtes Glück gehabt.
    Völlig allein nehmen wir im Klassenzimmer die Abendmahlzeit ein, müde, aber zufrieden, und ich spüre, dass ich bereit bin loszulassen.
    Schließlich bleibt mir noch, Gute Nacht zu sagen. Die Dunkelheit umhüllt mich, und ich gleite hinüber in die Welt der Träume.

E IN LANGER T AG
    FREITAG, 2. MAI
HÖSSERINGEN – HOHNE (ÖSTL. CELLE), 38 Km
    Am nächsten Morgen empfängt uns ein wunderschöner, sonniger Tag. Ich habe phantastisch geschlafen und das unruhige Wälzen, die heftigen Winde und das Schnarchen meines Wanderbruders sofort mit Ohropax aus meinem Hörfeld verbannt.
    Es ist halb acht, und das allmorgendliche Ritual beginnt. Zunächst steht die Pflege der Füße an, und siehe da, ich entdecke die erste kleine Blase an der Außenseite des linken großen Zehs. Das habe ich so früh nicht erwartet. Ich habe mir solche Mühe bei der Auswahl der Wanderschuhe gemacht, im Internet, in Trekkingläden Rat geholt und mich schließlich für einen im Praxistest als Sieger hervorgegangenen Allrounder entschieden. Ein Goretex-Stiefel, der für die verschiedenen Wege, die wir gehen würden, empfohlen wurde: Ob Asphalt, bretthart gepresster Sand, Baumwurzeln, Felsen oder Modder – unsere Schuhe sollten damit umgehen können. Zudem haben wir die Stiefel
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