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Vom Nehmen Und Genommenwerden

Titel: Vom Nehmen Und Genommenwerden
Autoren: Peter A. Schroeter , Doris Christinger
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waren starke und stolze Wesen – zu stolz, denn sie stellten sich mit den Göttern auf dieselbe Stufe. Das aber ging Göttervater Zeus zu weit, und zur Strafe zerschnitt er alle Kugelmenschen in zwei Hälften. Seitdem haben sie zwei Beine, zwei Arme und nur noch ein Gesicht und sind getrieben von der Sehnsucht nach ihrer verlorenen anderen Hälfte. Diesen Trieb bezeichnet Platon als Eros .
    In diesem Mythos spiegelt sich eben jenes romantische Liebesideal von der Sehnsucht nach dem Verschmelzen, dem Einswerden mit dem geliebten Menschen. Liebesbeziehungen gab es zu allen Zeiten, aber erst unter dem Einfluss der Romantik um 1800 wurde die Liebes-Ehe das Ideal des Bürgertums. In der Antike waren außereheliche Liebesbeziehungen, ob hetero- oder homosexuell, keine Besonderheit. Auch das Mittelalter war ein Zeitalter sexueller Freizügigkeit, dem die katholische Kirche 1215 wenigstens offiziell einen Riegel vorschob, indem sie die Ehe zum Sakrament erhob. Sie propagierte, dass geschlechtliche Beziehungen ausschließlich der Fortpflanzung zu dienen hätten. Im Hochmittelalter entwickelte sich die höfische Minne, eine von hohen Idealen getragene, rein platonische Form der Liebe, deren Gesänge stets von der fernen und unerreichbaren Geliebten erzählen. Die Antwort der Kirche war der Marienkult, der die Verehrung des Femininen in edle, keusche und damit kontrollierbare Bahnen lenkte.
    Beim europäischen Adel gehörte es dennoch über Jahrhunderte zum guten Ton und war sogar ein Statussymbol des Mannes, eine oder mehrere Mätressen zu unterhalten. Diese dienten entweder rein seinen sexuellen Bedürfnissen, oder aber es waren echte Liebesverhältnisse, abgekoppelt von der Institution Ehe. Umgekehrt gab es immer auch »exotische« Frauen, die ihre Sexualität frei und ungehemmt auszuleben verstanden, sei es unter dem Deckmantel des Mäzenatentums oder als Freidenkerinnen. Gesellschaftlich anerkannt war aber diese Form der weiblichen Sexualität und Freiheit nie.
    In der Zeit der Aufklärung, also gleichzeitig mit den Anfängen der Frauenrechtsbewegung, entstanden durch die klare Rollenteilung in Ernährer und Hausfrau (Mutter) die klassische Kleinfamilie und daneben die romantische Idee der Liebesheirat. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde versucht, Leidenschaft und Ehevertrag unter einen Hut zu bringen, mit der bekannten Konsequenz: wachsenden Scheidungsraten.
    Die Liebesliteratur erzählt über alle Epochen hinweg eine andere Geschichte: Sie ist voll von Stoffen, in denen die Sehnsucht nach Verschmelzung unerfüllt bleibt. Von der Antike bis zur Gegenwart finden wir das Romeo-und-Julia-Motiv in all seinen Varianten wieder: die Vorstellung von einer alles umfassenden Liebe, die sich nicht erfüllen kann und im Tod enden muss. Welchen Liebesfilm haben Sie zuletzt gesehen? Mit großer Wahrscheinlichkeit spielte auch in diesem das Streben nach der einen großen, wahren und endgültigen Liebe die Hauptrolle. Und musste nicht auch der Held oder die Heldin der Geschichte sich über alle gesellschaftlichen, geografischen und biografischen Barrieren hinwegsetzen – um am Ende doch zu scheitern? Die große romantische Liebe bleibt auch im 21. Jahrhundert stets eine Leidensgeschichte.
    Trotzdem lebt dieses Ideal in unseren Köpfen und Herzen fort und erzeugt einen enormen Druck auf unsere Beziehungen. Diese können den Anspruch nach totaler Verschmelzung nicht erfüllen. Die Folge: immer wieder Enttäuschungen, Verletzungen und schließlich Trennung. Was bleibt dann anderes, als sich frustriert zurückzuziehen, wenn die Erkenntnis dämmert, dass die große romantische Liebe nur ein Ideal ist, dessen Verwirklichung uns die Verleugnung unserer Bedürfnisse kostet? Nur eine bewusste Entscheidung für die eigene Weiterentwicklung und das gemeinsame Wachstum als Paar kann uns davor bewahren, in die Falle des romantischen Liebesideals zu tappen. Erst dann erwacht unser Potenzial zum Leben, und wir erwecken auch das Potenzial im anderen.
    Entfachen der Leidenschaft mit dem Yin-Yang-Spiel
    Natürlich zerbrechen nicht alle Partnerschaften oder geraten unter Druck, weil sie sich in die Schablone des übergroßen Ideals der romantischen Liebe pressen. Bei den meisten Paaren spielt man sich im Laufe der Jahre aufeinander ein, lernt, dem anderen zu vertrauen und teilt Gefühle und Gedanken mit ihm. Man versteht sich, meistert
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