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Vom Himmel hoch

Vom Himmel hoch

Titel: Vom Himmel hoch
Autoren: Gerhard Branstner
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Meteoriten gerettet habe, habe ich es zugleich ad absurdum geführt. Es liegt jetzt bei Ihnen, zu entscheiden, ob ich ›Das grüne Kreuz‹ für die Rettung des Projekts erhalten soll oder dafür, daß ich es als Schildbürgerstreich offenbart habe. Und ist es nicht der größte Schildbürgerstreich der Menschheit, daß dieses gewaltige System zur Gewinnung von Energie ausgerechnet in dem Augenblick errichtet wurde, da meine Entdeckung alle Energie überflüssig gemacht hatte?‹
    Nach diesen Worten trat ein noch nie gehörtes Schweigen ein. Es war einfach unmöglich, auch nur den geringsten Laut wahrzunehmen. Die gelehrte Versammlung wagte nicht zu atmen. Doch endlich ermannte sich der Vorsitzende der Session, ein mickriges Persönchen, trat an unseren Mann heran und heftete ihm in stummer Feierlichkeit das Kreuz an die Brust.
    ›Und wofür haben Sie sich entschieden‹, fragte der Geehrte, ›für die Rettung oder für den Schildbürgerstreich?‹
    ›Für das letztere‹, stotterte der Vorsitzende, ›für das letztere.‹
    ›In dem Falle nehme ich die Ehrung an‹, sagte der Mann vom Mond.
    Das waren die letzten Worte, die auf dieser denkwürdigen Session gesprochen wurden«, stellte Kraftschyk fest, »und auch mir bleibt nichts mehr zu berichten übrig außer dem Umstand, daß die Orbitalstation, von der aus der Mann die künstliche Supernova startete, einige Zeit später aus dem wissenschaftlichen Verkehr gezogen und dem Klub der Weltraumveteranen zur Verfügung gestellt wurde, der in ihr das ›Wirtshaus Zum Müden Gaul‹ einrichtete.«
    »Es ist wirklich ein schöner Zug von dir«, sagte der Raumkoch zu Kraftschyk, »daß du die letzte Lügengeschichte in unserem Etablissement enden läßt. Obwohl es für mich etwas überraschend kam.«
    »Für mich auch«, gestand Kraftschyk, »es ergab sich gerade so.«
    »Ob überraschend oder nicht«, meinte Wirsing, »es war ein hübsches Ende. Aber wie ich unseren Schwerenöter kenne, hatte er es nicht darauf abgesehen. Oder irre ich mich?«
    »In der Tat«, erwiderte Kraftschyk, »hatte ich es nicht auf das Ende abgesehen, sondern auf die Folgen.«
    »Die Folgen von was?« wollte Fontanelli wissen.
    »Von der Aufhebung der Schwerkraft«, erklärte Kraftschyk. »Ihr folgt nämlich mit Notwendigkeit die Erkenntnis, daß alle Naturwissenschaften zur Physik streben. Je tiefer wir in die Natur eindringen, desto näher kommen wir der inneren Bewegung der Erscheinungen; diese innere Bewegung aber ist der Gegenstand der modernen Physik; und die Einzelwissenschaften ordnen sich zueinander je nach ihrer Entfernung zu diesem Gegenstand. Damit ist endlich die objektive Systematik der Naturwissenschaften gegeben: Jede Einzelwissenschaft stellt jetzt eine bestimmte Stufe der Treppe zur Physik dar, die alle Einzelwissenschaften in sich aufhebt, um sich wiederum in Gravitation aufzuheben. Der Schlußpunkt aber ist die Aufhebung der Gravitation selbst.«
    »Da hast du die Naturwissenschaften schön unter den Hut gekriegt«, erkannte der Himmelsgärtner an, »bei den Gesellschaftswissenschaften scheint mir das jedoch nicht so einfach zu sein.«
    »Da ist es ganz ähnlich«, meinte Kraftschyk. »Jede Gesellschaftswissenschaft stellt eine bestimmte Stufe der Treppe zur Ästhetik dar, die den Sinn aller Gesellschaftswissenschaften, der historischen Souveränität des Menschen zu dienen, in sich aufhebt, indem sie diese Souveränität, als ästhetische Schwerelosigkeit definiert, zum Daseinszweck des Menschen erhebt.«
    »Und der Schlußpunkt«, sagte Stroganoff, »ist hier die heitere Verstellung.«
    »Du sagst es«, sagte Kraftschyk. »Aber das ist noch nicht alles.«
    »Um des Himmels willen«, rief der Automatendoktor, »könnt ihr nicht auf einen normalen Menschen Rücksicht nehmen, ich bin schon ganz wirr im Kopf.«
    »Was noch gesagt werden muß«, meinte Kraftschyk, »muß noch gesagt werden, und das ist mit einem Worte getan. Während uns die Aufhebung der Gravitation, die physikalische Schwerelosigkeit also, alle Kräfte der Natur faßlich macht, stellt die ästhetische Schwerelosigkeit den menschlichen Zweck dar, dem diese Kräfte zu dienen haben, womit Natur und Mensch in ein so einfaches wie endgültiges Verhältnis gebracht sind.«
    »Das ist nun hoffentlich der Weisheit letzter Schluß«, sagte Fontanelli.
    »Ich denke«, sagte Kraftschyk.
    »Das ist gut«, sagte Fontanelli, »darauf wollen wir das Glas erheben.«
    Also trank man ein Glas darauf, sagte weiter nichts dazu,
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