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Vom Himmel hoch

Vom Himmel hoch

Titel: Vom Himmel hoch
Autoren: Gerhard Branstner
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eines Restes von Energie, den sie für diesen Zweck stets zurückhielten, in die nächstbeste Hitze, luden neu Energie auf und konnten nun wieder kühlen. Auf die Weise entstand ein geschlossener Kreislauf, der ohne besondere Energiezufuhr funktionierte. Das war das Geniale an der Geschichte. Und wenn es dabei geblieben wäre, hätte ich nichts weiter zu erzählen.
    Die Automaten waren, wie sich denken läßt, von der bloßen Hinundherlauferei, die ja was Blödsinniges an sich hat, geistig keineswegs ausgelastet. Daher wurden sie, je nachdem wo sie eingesetzt waren, hin und wieder zu Nebenarbeiten herangezogen. Der Automat, der das chemische Labor zu kühlen hatte, half bei den Analysen; der Automat in der Rechenzentrale mußte für seinen spezialisierten Kollegen die Nebenrechnungen machen; und unser Automat diente als Kochbuch. Auf diesem Stern gab es nämlich eine Art von Ameisen, vor denen nicht der kleinste Fetzen Papier sicher war. Daher gaben wir sämtliche Koch- und Backrezepte unserem Kühlautomaten ein und warfen die nun überflüssig gewordenen Bücher den Ameisen zum Fraße vor. Unser Automat diente uns mit seinem prompten Gedächtnis besser als jedes Kochbuch, jedenfalls den ganzen Winter über. Im Frühjahr, als die ohnehin große Hitze noch größer wurde und der Automat seinen Kreislauf beschleunigen mußte, um die Küche kühl genug zu halten, konnte er die abverlangten Rezepte nur noch im Vorbeirennen ausspucken. Wie das erst im Sommer werden sollte, daran wagten wir gar nicht zu denken. Aber es kam ganz anders, das heißt schlimmer. Zunächst aber kam es genau so, wie wir es uns hätten denken können, wenn wir zu denken gewagt hätten. Der Automat flitzte wie ein Weberschiffchen hin und her, und wenn wir ein Rezept von ihm haben wollten, mußten wir, den Sonnenschirm aufgespannt, hinter ihm herflitzen. Natürlich kochten oder buken wir jetzt vorzüglich nur das, wovon wir das Rezept im Kopf hatten. Unter ausgefallenen Umständen kommt der Mensch aber bekanntlich auf ausgefallene Bedürfnisse. Und die Umstände auf diesem Stern waren ausgefallen genug. Also bekam plötzlich einer von uns ein Bedürfnis auf Streuselkuchen. Und wie das so geht, kaum hatten wir anderen davon gehört, schon meinten wir, ohne Streuselkuchen nicht mehr leben zu können. Nun war Streuselkuchen zu der Zeit schon ganz aus der Mode gekommen, kein Mensch konnte sich mehr an das Rezept erinnern. Also nahm ich meinen Sonnenschirm, heftete mich unserem Kühlautomaten, sobald er hereingelaufen kam und sogleich wieder hinauslief, an die Fersen und fragte ihn nach dem Rezept. Der Automat tat jedoch nicht dergleichen. Statt wie gewöhnlich stehenzubleiben, sobald er in die Sonne gelangt war, lief er mit zunehmender Geschwindigkeit immer weiter. Nachdem ich ihm eine Weile hinterdreingerannt war und noch mehrere Male vergeblich um das Rezept für Streuselkuchen gefragt hatte, gab ich es auf und blieb zurück. Der Automat aber rannte noch schneller davon und verschwand endlich in der Ferne. Als ich in die Küche zurückkehrte, war das Bedürfnis auf Streuselkuchen auf dem Siedepunkt angelangt. Daraus erklärt es sich, daß meine Eröffnung, der Automat sei mit dem Rezept durchgebrannt, eine verheerende Wirkung hatte. Einige äußerten sogar Selbstmordabsichten. Und da außer dem Streuselkuchen auch die Kühlung fehlte, wurde die Situation tatsächlich ernst. Einer der wenigen, die besonnen blieben, beorderte schnell einen Ersatzautomaten aus dem Depot herbei, und als dieser uns die Hitze etwas genommen hatte, kamen wir einigermaßen wieder zu Verstand. Das Bedürfnis auf Streuselkuchen aber blieb zurück. Also veranlaßten wir eine Suchaktion nach dem durchgebrannten Automaten, um doch noch des Rezeptes habhaft zu werden. Die Aktion hatte auch Erfolg, soweit sie den Automaten betraf. Er wurde, völlig überhitzt, weitab von unserer Siedlung aufgegriffen. Wie uns der zuständige Spezialist auseinandersetzte, hatte die Eigenkühlung der Automaten versagt, worauf die Steuerung durchgeschmort war.
    ›Und das Gedächtnis?‹ fragten wir ungeduldig.
    ›Das ist auch hin‹, sagte der zuständige Spezialist.
    Da standen wir nun, ohne Gedächtnis und mithin ohne Streuselkuchen. Wenn wir nicht endgültig auf ihn verzichten wollten, und das wollten wir durchaus nicht, dann mußten wir den Streuselkuchen neu erfinden. Nun gibt es aber Dinge, die im eigentlichen Sinne niemals erfunden worden sind, sondern sich von Generation zu Generation
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