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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle
Autoren: Gabriele Diechler
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lassen wollte, sagte ich nichts.

    Mark, der Geist, der trotz allem existierte, war gerade erst in mein Leben getreten. Doch das hatte ich an den äußersten Rand meines Bewusstseins gedrängt, weil ich es nicht verstand. Offenkundig hatte ich es bisher lediglich mit meinem Vater und seinen lästigen Fragen nach den Männern, die in meinem Leben eine viel zu kleine Rolle spielten, zu tun. Und der Tatsache, dass ich Almut unter menschenunwürdigen Umständen wiedersah. Das reichte mir, denn es war Aufregung genug. »In deinem Dasein gibt es keine Sicherheiten, keine Wärme, keine Ausgeglichenheit und wohl auch keine Kinder mehr«, behauptete Papa täglich, seit er bei mir wohnte. »Das mit dem Nachwuchs ist selbstverständlich das geringste Übel«, konstatierte er, der es mit Kindern ohnehin nicht so hatte. »Dein Beruf allerdings? Tsss«, lachte er schnippisch auf. »Mord und Totschlag, derart grausige Dinge bestimmen deinen Tagesablauf. Das ist doch nichts Richtiges für eine Frau wie dich!« Was Eine-Frau-wie-dich bedeuten sollte, wusste ich beim besten Willen nicht. Wenn er mich neuerdings für derart zart besaitet hielt, dann war ihm das früher jedenfalls völlig entgangen. Da hatte er mich wie ein Stück ungeschliffenes Holz behandelt, dem höchstens die Spaltung durch eine Axt etwas anhaben konnte. Ich schnaufte und fuhr mir mit meiner verschwitzten, unberingten Hand durchs Haar. Hinter meinen Ohren entfaltete sich schwach der Duft eines frühlingshaften Parfüms, dem eine seltsame Note nach Dung anzuhaften schien, je länger ich es auf der Haut trug. Am liebsten hätte ich Papa an den Kopf geknallt, dass ich mit dieser Geruchsbeimischung, die ich seinem Elefantendung zu verdanken hatte, niemals jemanden aufreißen konnte. Aber was hätte es gebracht? Er hätte noch nicht mal begriffen, worauf ich hinauswollte. Schließlich war er ein Meister im Nicht-verstehen-Wollen.
    Mein Vater war nicht einfach. Doch das Wiedersehen mit Almut nahm mich derart in Anspruch, dass ich ihn für eine Weile fast vergaß. Almuts Schicksal nahm mich magisch gefangen.

Vier

    Almut sah ihn auf sich zukommen wie ein verstörtes Tier, das einen riesigen Schatten hinter sich herzieht. Seine Hände, die in dünnen Gummihandschuhen steckten, wie sie Ärzte trugen, wuchsen seltsam ungelenk aus seinem Körper. Wie Unkraut, das man nicht unter Kontrolle bekam. In seiner rechten Hand befand sich eine bereits entsicherte Schnellfeuerpistole. In der linken trug er ein Glas Wasser und mehrere Tabletten. Ein perfides Geschenk an sie. Im Wohnzimmer brannte die Stehlampe neben der Couch. Ein kleiner Lichtkegel, der das dunkle Zimmer aus der Anonymität heraushob. Ansonsten herrschte bedrückende Dunkelheit, denn draußen schien der Tag viel zu früh in unnatürliche Abendstimmung zu versinken. Almut schluckte und hörte, wie ihr der Speichel überlaut die Kehle hinunter rann. Ihr Leben geriet mit einem Mal in einen Raum ohne Maß. Sie spürte, wie alle Fasern ihres Körpers sich anspannten, obwohl sie ruhig bleiben sollte. Ruhig in einer Situation wie dieser. Sie checkte im Bruchteil einer Sekunde, dass sie das, was auf sie zukommen würde, nur durchstehen konnte, wenn sie es schaffte, einen Teil von sich abzukapseln. Auslagern als eine Art Parallelleben. Eines, mit dem sie, Almut Lohmann, nichts zu tun hatte und von dem sie so wenig wie möglich in ihr Bewusstsein ließ. Es war die einzige Chance, die sie hatte. Wenn ihr das misslang, war sie verloren. Was hier und gerade jetzt vor sich ging, war keine Situation, auf die sie ihr bisheriges Leben vorbereitet hatte. Das war das Extremprogramm. Ein abartiges Spiel zwischen zwei Menschen. Ihm und ihr.
    Er stand vor ihr, die Arme ausgebreitet, um sie mit seiner Existenz zu umschlingen, und zögerte. Nicht aus Mitgefühl, aus Kalkül. Offenbar war es noch nicht soweit. Als Erstes würde er ihr die Tabletten zum Lunch reichen. Danach blieben ihr einige Minuten Restzeit. Vielleicht fünf, sechs, mit ein bisschen Glück sogar sieben. Minuten des Wahnsinns, die ihr das Blut in den Adern gefrieren lassen würden, während ein Wust seltsamer Gedanken in ihrem Gehirn die Welt ringsum endgültig auslöschte. Das Letzte, was sie wahrnahm, war der Sturm, der draußen wahllos an allem rüttelte und zerrte. Windböen, die alles in die Knie zwangen, sich alles unterordneten. Sie registrierte es wie von fern, wie durch eine Art Filter, das Maß dafür, was länger für sie wichtig war und was nicht. Danach drang
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