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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle
Autoren: Gabriele Diechler
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restaurieren«, erklärte Papa mir mit einem fachmännischen Runzeln im Gesicht. »Das Finish ist zu perfekt. Denk mal an einen Kratzer im Autolack. Den verspachteln und den richtigen Glanzgrad treffen …« Er schüttelte schwer den Kopf und klopfte dabei mit spitzen, flachen Bewegungen auf das Foto in seiner Hand. »… praktisch unmöglich.« Er erzählte noch von einem Symposium des Guggenheim-Museums, an dem er vor kurzem teilgenommen hatte. Da hatte Renate, die Untreue, ihn noch begleitet. Geradezu gebettelt habe sie darum, mitkommen zu dürfen, vertraute er mir an. »Schließlich war sie der Star an der Seite des hoch angesehenen Experten. Die Frau neben mir.« Papa rümpfte die Nase angesichts der deprimierenden Erinnerung, die sich in seinen Augenblick drängte. »Renate hat mich übrigens gleich am ersten Abend in eine Duftoper geschleppt. ›Green Aria‹ von Laudamiel und Stewart Matthew. Das hatte im Guggenheim Premiere.«
    »Und wie funktioniert eine Duftoper?« Ich hatte keinen blassen Schimmer, war aber halbwegs interessiert.
    »Ganz einfach. Licht aus. Dunkelheit rein. Und dann ein Feuerwerk an Musik und Parfüm aus Duft-Mikros.«
    Ich seufzte angetan. »Eine Symphonie für die Sinne. Muss berauschend sein.«
    »Schön wär’s. Es hat bestialisch gestunken.«
    »Schade, hätte auch anders sein können.« Doch mein Vater hörte mir gar nicht mehr zu. Er war bereits beim nächsten Thema. »Übrigens hat man mir an besagtem Abend davon erzählt, dass sich die Restauratoren mit dem sogenannten ›Black Painting‹ des abstrakten Expressionisten Ad Reinhart rumgeschlagen haben. Beim Aufbau einer Ausstellung ist es zerkratzt und danach durch eine dilettantische Reparatur zerstört worden. Ein Jammer! Es war zig Millionen Dollar wert und jetzt …?« Mein Vater vollführte eine scharf abgrenzende Handbewegung, die klarmachte, dass es sich um einen Totalverlust handelte. Das kannte ich selbst nur zu gut. Jedes Mal, wenn ich einen Toten vor mir hatte, handelte es sich um einen Totalverlust. Und reparieren ging auch nicht mehr.
    »Kann das zerstörte Gemälde nicht wenigstens als Lehrstück dienen, so, wie Pathologen eine Leiche öffnen, um herauszubekommen, woran jemand gestorben ist, oder um menschliche Organe zu studieren?«, schlug ich vor.
    »Du bist mir zu pragmatisch!« Mein Vater sah mich an wie früher. Anmaßend und zurechtweisend. »Man kann dieses Kunstwerk nicht mehr aufhängen und sagen: Das ist ein echter Ad Reinhardt! Du behauptest ja auch nicht von einem Toten, er würde jeden Moment auferstehen und weiterleben.«
    Ich schwieg betroffen. Weniger über die unsinnige Bemerkung meines Vaters, sondern weil mir Mark durch diesen Satz wieder ins Gedächtnis kam. Seit jenem seltsamen Erlebnis unserer ersten Begegnung hatte ich nichts mehr von ihm gehört oder besser gesagt, für ihn empfunden. Selbstverständlich hatte ich das Ganze inzwischen ins Reich der Fantasie verbannt und auch dort belassen. Doch etwas in mir sträubte sich dagegen und machte mir klar, dass die Sache nicht so einfach abzutun war. Vielleicht hatte ich das Leben an sich viel zu lange wie durch die falsche Seite einer Lupe gesehen. Es war ohnehin wahrscheinlich, dass es jede Menge gab, was ich noch nicht kannte. Die Wissenschaft machte uns ständig klar, dass sie nur eine momentane Bestandsaufnahme war, keine Feststellung. Sie war bestenfalls ein Versuch, eine Vorstellung. Die Wahrheit, die tatsächliche Wahrheit, wenn es denn so etwas gab, lag woanders. Dort, wo wir Menschen noch nicht hingekommen sind.
    Ich hörte mit halbem Ohr zu, wie mein Vater mir vorschlug, ihn auf seinen täglichen Marathon-Spaziergängen zu begleiten. »Ein bisschen Bewegung könnte dir und deinen Hüften nicht schaden. Männer mögen sanfte Rundungen. Wie das Hügelland eines fruchtbaren Weingebiets. Fett dagegen stört. Darauf springt keiner an. Jedenfalls kein Vernünftiger.« Er wusste noch immer, wie man Anti-Komplimente aussprach. Ich fühlte, wie sich ein Gefühl von Betroffenheit in mir niederließ, und kämpfte dagegen an. Schweigend, ohne abzulehnen oder anzunehmen, ging ich aus dem Zimmer, das einmal meines gewesen war. Sollte er beleidigen, wen immer er wollte. Ich stand dafür nicht mehr zur Verfügung. Doch als Psychologin wusste ich natürlich, dass es so einfach nicht wahr. Bei Weitem nicht. Was man einmal gehört, erfahren oder empfunden hatte, wurde man nicht mehr so schnell los.

    Warum war mir Erich Neumann eingefallen? In weit
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