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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle
Autoren: Gabriele Diechler
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hatte man keine Fingerabdrücke gefunden, außer den seinen, denen seiner Frau, der Haushaltshilfe und des Gärtners. Gäste habe man schon länger keine mehr gehabt, war das Einzige, was man Almut entlockt hatte. Der oder die Täter hatten keine Gewalt angewendet, um ins Haus zu kommen. Noch während der Vernehmung hatte Almut verlangt: »Ich will nicht ins Krankenhaus. Besorgen Sie mir eine Pflegerin!« Alle von der Kripo hatten sich über Frau Lohmanns ungewöhnliche Bitte gewundert, doch sie hatte darauf bestanden, dass man ihrer Anweisung Folge leistete. Sie wolle im Haus bleiben, dem Ort, wo sie ihren Mann zum letzten Mal lebend gesehen habe, behauptete sie. Obwohl ausgerechnet die Villa der Ort des Grauens war, an dem ihr Mann zu Tode gekommen und sie selbst misshandelt worden war. Sie blieb dabei, sie ginge nicht von hier fort.
    Als ich Almut das erste Mal nach all den Jahren gegenüberstand, fühlte ich wieder die Unsicherheit von damals. Geradeso, als sei ich in der Zeit zurückgereist, um nachzuspüren, wie ich damals empfunden hatte. Das Gefühl wich Gott sei Dank schnell aus meinem Körper und meinen Gedanken, denn ich war so sehr mit den schrecklichen Vorkommnissen beschäftigt, dass unser Wiedersehen dagegen zu verblassen begann. Doch kalt ließ es mich nicht.
    Je mehr ich mit Almut zu tun hatte, desto mehr nahm sie mich erneut gefangen. Diesmal auf eine andere Weise, denn das Ungleichgewicht hatte sich zu meinen Gunsten verlagert. Almut war noch immer eine wunderschöne Frau mit stechend einprägsamen Augen. Das ahnte man hinter ihren Verletzungen. Neben ihr gingen viele Frauen als schlechte Kopie der Weiblichkeit durch.
    »Komische Entscheidung, hier bleiben zu wollen«, hatte ich Frank gegenüber beteuert, der mich mit einem Blick, prall gefüllt mit alter Wut, anstarrte. »Das kannst du laut sagen!«, stimmte er mir zu. Ich las in seinem Gesicht, dass er die Welt nicht mehr verstand und wohl auch nicht verstehen wollte. »Und, was sagt unsere Psychologin zu solch irrationalen Ansagen?« Frank sah mich kurz an, ließ den Blick dann aber abprallen, wie an einer Betonwand. Er vergrub sich ins Grün des Gartens, offenbar hatte er eine Idee und ich folgte ihm hinaus in den Park. »In all den Jahren, die ich als Notfallpsychologin arbeite, ist mir so was noch nicht untergekommen.« Ich grübelte einen Moment im Stillen, während wir die Kieswege abschritten, vorbei an alten Ahornbäumen, Eichen und Rhododendren. »Wenn die Traumatisierung so stark ist, dass sie keinen Zugang mehr zu den Gefühlen gestattet, wird es besonders schwierig. In der Psychiatrie nennt man das Dissoziation. Aber das dürfte bei Almut Lohmann nicht der Fall sein. Zumindest meiner Ansicht nach.« Frank zuckte nur mit den Schultern und ging weiter den Weg entlang, den er längst mit seinem Blick eingenommen hatte. Schließlich blieb er neben einem Rosenbeet stehen und steckte sich eine Zigarette an. Er sog den Rauch seiner American Spirit tief ein und tigerte weiter durchs Grün, um besser nachdenken zu können.
    Frank war, wenn er die Schultern hängen ließ, was er meistens tat, sehr klein. Wahrscheinlich unter Einsfünfundsechzig. Er verwies gern auf Tom Cruise, der ebenfalls unter Einssiebzig war und trotzdem etwas darstellte. Er sprach mit einem leicht verschnupften Ton, wobei er den Mund einen kaum wahrnehmbaren Spalt weit offen ließ. Seine Augen hatten die Farbe von Schmutz. Aber wenn er lachte, war er unwiderstehlich. Er schoss sein Lachen in die Welt hinaus, als müsse er alle mit seiner guten Laune retten. Das wirkte ansteckend.
    Er war ein verbissener Ermittler, der keine Spur aus den Augen ließ, das verband uns. Doch er war eine Niete, was den Einblick in die Psyche eines Menschen anbelangte. Ich fragte mich seit jeher, wie er zur Polizei gekommen war und was er dort zu suchen hatte. Was meine Anmerkungen anbelangte, kamen Frank und ich selten auf einen gemeinsamen Nenner, zumindest anfangs. Ich wusste, dass er meine Arbeit schätzte und mich im Stillen vielleicht sogar bewunderte.
    In diesem Moment befand er sich in einer Phase, in der er jeden Menschen mit Inbrunst hasste. Im Grunde seiner Seele war er verletzlich und sensibel. Er verachtete seinen Job, oder sollte ich besser sagen, die Umstände, die ihn mit Tätern, mit Schuldigen, mit psychisch gestörten Menschen zusammenbrachte, denen er auf der Spur war. Ich, als Psychologin, hatte gewisse Vorteile. Ich war therapiert worden und bestens ausgebildet, um mit
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