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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle
Autoren: Gabriele Diechler
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übernahm. Es war der Fall, den Mark mir angedeutet, oder sollte ich besser sagen, angekündigt hatte.
    Der Himmel war an diesem Tag gestreift von grauen Wolkenstrichen und zitternder Dunst lag über den zuvor noch glühenden Steinen der Häuser und Straßen. In diesem Sommer gab es ungewöhnlich viele und vor allem starke Gewitter. Hochwasser, Wassereinbrüche und Überflutungen waren die Folge. Ich machte mir manchmal darüber Gedanken, wo das alles hinführen sollte, aber ich konnte natürlich nichts daran ändern.
    Viel mehr als das Wetter beschäftigte mich, dass ich es bei meinem neuen Fall mit einem Mord zu tun hatte, von dem Mark gewusst hatte, bevor es zur Tat kam. Wie war das möglich? Und wieso hatte Mark den Mord dann nicht verhindern können? Zusätzlich zu einem Toten gab es eine Frau, die übel zugerichtet worden war. Es war die Ehefrau des Mordopfers. Man hatte sie mit brutal verpflastertem Mund im Eichenschrank ihres Wohnzimmers gefunden. Gott sei Dank hatten die Nachbarn Alarm geschlagen, weil sie die Frau des Toten, die jeden Mittag ins Fitnessstudio zu fahren pflegte, an jenem Tag nicht zu Gesicht bekommen hatten. Wären die neugierigen Nachbarn nicht gewesen, hätte die Frau des Opfers sich alsbald zu ihrem Mann gesellen können. Als man sie fand, röchelte sie zum Erbarmen laut. Der Rest ihres Körpers sah leider auch sehr mitgenommen aus. Blut, wohin man blickte. Dazu Quetschungen, Prellungen, Schürfwunden, eine gebrochene Nase, ausgerissene Haarbüschel. Doch das Schlimmste war ihr psychischer Zustand. Sie hatte ein schweres Trauma erlitten, zitterte und vibrierte am ganzen Körper und sprach kein Wort.
    Als ich sie sah, wusste ich sofort, wen ich vor mir hatte. Das fein gezeichnete Gesicht, etwas älter zwar, aber immer noch erkennbar schön, sprang mir sofort ins Auge. Das störrische, wild gelockte Haar, aber vor allem ihre Hände waren mir ebenfalls gut bekannt. Sie hatte schon damals die Angewohnheit gehabt, mit ihren Fingern herumzuspielen und tat es noch immer. Kein Zweifel, die Frau, der ich gegenübersaß, war Almut. Wir hatten miteinander die Schule besucht. Ob sie mich wieder erkannte?
    Ich wartete darauf, dass bei ihr der Groschen fiel. Dass sie mich zweifelnd oder grübelnd ansah. Doch es passierte nichts. Sie begegnete mir wie einer Fremden. Ich tröstete mich damit, dass es eine Ewigkeit her war, seit wir uns das letzte Mal begegnet waren.
    Der Typ, oder wer immer dafür verantwortlich war, dass Almut, die früher Müller geheißen hatte und heute den Nachnamen Lohmann trug, aussah, wie sie aussah, hatte ganze Arbeit geleistet. Ich dachte mal wieder, nicht zum ersten Mal natürlich, dass sich das, was ich vor mir sah, nur aufgrund eines ungeheuren Irrtums zugetragen haben konnte. Ansonsten wäre es doch nie möglich, dass Menschen anderen Menschen derartiges antaten. Und dann kamen mir Marks Worte in den Sinn. Es gäbe keinen Tod, hatte er behauptet. So ein Unsinn! Schließlich konnte ich mich ständig davon überzeugen, dass es ihn gab. Mordopfer waren tot, wurden begraben, beweint oder auch nicht und schließlich irgendwann vergessen. Das Leben war erloschen, vorbei, finito. Das war’s. Ich seufzte und verbannte Marks seltsame Worte aus meinen Gedanken.

    Immer wenn ich mich in die begleitende Aufklärung eines Mordfalls verbeiße wie ein tollwütiger Hund in seinen Gegner bricht alles um mich herum zusammen. Mein Restleben versinkt im Unsichtbaren. Ich bohre meine Gedanken tief in kriminal-psychologische Hintergründe hinein und existiere außerhalb dessen kaum noch. Vom Essen und Trinken einmal abgesehen. Es ist jedes Mal wieder eine heikle Situation.
    Ich arbeitete im Grunde auf dieselbe Art und Weise, wie mein Vater. Präzise und besessen. Das verband mich mit ihm. Doch genau deshalb versuchte ich vermutlich, es zu ignorieren. Ich wollte nicht so sein wie er. Ich wollte ich sein.
    Dieses Mal war es schlimmer als je zuvor, denn es ging um jemanden, den ich kannte. Es ging um Almut. Vielleicht wollte ich ihr nach all den Jahren – denn nun hatte ich eine berechtigte Chance dazu – imponieren. Der Gedanke, endlich auf einer Ebene mit der Vielbewunderten sein, war verführerisch. Ich wollte Almut Lohmann gefallen. Freundschaft für damals schließen. Rückblickend sozusagen. Das war der Grund, weshalb ich verschwieg, dass ich das Opfer kannte. Denn hätte ich es zugegeben, wäre mir der Fall vermutlich wegen Befangenheit entzogen worden. Da ich es darauf nicht ankommen
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