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Vollmondkuss

Titel: Vollmondkuss
Autoren: Patricia Schroeder
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Jolin blickte ihn an.
    »Rouben«, sagte er gleichgültig, fast kühl. »Rouben Varescu.«
    »Wie?« Sie hatte nicht richtig verstanden. Und sie spürte, dass alle sie anstarrten. Klarisse. Melanie und Rebekka. Und die anderen, die Mädchen. Plötzlich war sie nervös.
    »Schon gut. Meinen Nachnamen kann sich ohnehin keiner merken«, sagte er. »Es reicht, wenn du mich Rouben nennst.« Er sprach immer noch leise und ohne jede Betonung.
    »Du kommst aus Rumänien«, erwiderte Jolin. Sie konnte ihn kaum ansehen. »Du ...«
    »Meine Familie«, unterbrach er sie.
    »Du nicht?«
    »Nein«, sagte er entschieden. Er deutete auf ihren Kollegblock. »Kannst du mir ein oder zwei Blätter geben? Ich habe noch keine Unterlagen und meinen Block dummerweise zu Hause vergessen.«
    »Klar«, sagte Jolin. Darum bemüht, kein lautes Abreißgeräusch zu erzeugen, trennte sie ein paar Seiten heraus und schob sie zu ihm rüber. Als Rouben seine Finger-auf die Blätter legte, bemerkte sie, dass sie sich farblich kaum von dem weißen Papier unterschieden. Sie waren lang und schmal, aber dennoch kräftig. Auf dem Handrücken trat eine der Venen besonders stark hervor.
    »Danke«, sagte er.
    Jolin nickte. »Du hast bestimmt auch kein Buch«, sagte sie. »Wir lesen gerade ...«
    »Macbeth«, fiel er ihr ins Wort. »Ich habe es bereits bestellt, morgen soll es da sein.«
    »Du kannst solange bei mir mit reinschauen«, sagte Jolin.
    »Danke«, wiederholte Rouben. »Du bist sehr nett.«
    Einen Moment blickten sie einander in die Augen. Sie sind wirklich schwarz, dachte Jolin. Die Iris war kaum von der Pupille zu unterscheiden. »Ist doch klar«, hauchte sie und blätterte planlos in ihrem Buch hin und her. - Es war idiotisch! Sie hätte besser darüber nachdenken sollen, welche Worte sie wählte. Jetzt hielt er sie womöglich für eingebildet. Dabei hatte sie es doch gar nicht so gemeint. Sie verhielt sich hilfsbereit, weiter nichts. Trotzdem trieb die Tatsache, dass er sie nett fand, ihren Puls in die Höhe.
    »Seite hundertvierunddreißig«, sagte Rouben.
    Er nahm ihr das Buch aus der Hand und schlug es auf.
    »Woher weißt du das?«, fragte sie verwundert.
    »Ich hab mich erkundigt«, sagte Rouben und lächelte. Er lächelte mit den Mundwinkeln, aber nicht mit den Augen. Seine Stirn war hoch und glatt, und seine Brauen glänzten ebenso schwarz wie seine halblangen Haare. Die Nase war etwas unregelmäßig gewachsen und hatte einen kleinen Höcker auf dem Rücken, die Lippen dagegen waren gleichmäßig voll und schön geschwungen. Über der rechten Oberlippe hatte er ein kleines Mal. Rouben sah gut aus. Er sah wirklich sehr gut aus.
    Jolin ertappte sich dabei, dass sie ihn anstarrte. Seine Mundwinkel hatten längst aufgehört zu lächeln. Verlegen senkte sie den Kopf. In ihrem Nacken pulsierte die Hitze. »Seite hundertvierunddreißig«, krächzte sie. »Na, klar. Natürlich hast du dich erkundigt.«
    Rouben schwieg. Er schien sehr sparsam mit Worten zu sein, offenbar sagte er nur das Nötigste. Jolin fand das nicht unsympathisch, auch wenn es sie verunsicherte. Zögernd hob sie den Kopf und blickte nach vorne. Mister Turner stand bereits in der Tür. Er hatte der Klasse den Rücken zugewandt und redete mit jemandem, der sich draußen auf dem Gang befand. Schließlich drehte er sich um, schloss die Tür hinter sich und ging in langen Schritten zu seinem Tisch. Dort stellte er seine schmale Aktentasche ab und hob die Hand, um sich in gewohnter Manier über den Schnauzer zu streichen, bevor er seine Schüler begrüßte. »Good morning ladies ’n gentlemen.«
    Die Klasse antwortete, nur Rouben schwieg. Wie ertappt brach Jolin mitten im Satz ab. Sie bemerkte, dass Klarisse mit brennenden Augen zu ihr herüberstarrte. Sie ist neidisch, stellte Jolin überrascht fest. Neidisch, weil Rouben neben ihr saß, obwohl das rein gar nichts zu bedeuten hatte, schließlich gab es kaum unbesetzte Stühle, und außerdem hatte Rouben gar nicht ahnen können, wer seine Tischnachbarin war, als er sich seinen Platz aussuchte.
    Trotzdem empfand Jolin so etwas wie Genugtuung. Gleichzeitig wusste sie, dass dieses Gefühl keinen Bestand haben würde. Klarisse wollte Rouben. Daran hatte Jolin nicht den geringsten Zweifel. Er war zu besonders, als dass eine wie sie ihn ignorieren konnte. Genauso wie nach schönen Klamotten oder nach Menschen wie Anna würde sie ihre raffgierigen Finger auch nach ihm ausstrecken. Und bisher hatte Klarisse noch immer alles bekommen, was
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