Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)

Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)

Titel: Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
Autoren: Frau Freitag
Vom Netzwerk:
nun ist es endlich passiert: In meiner Klasse gibt es den ersten Fall von Hornhautzerkratzung! Yeah! Das muss sich jetzt nur noch rumsprechen.
    Seit einigen Jahren – wahrscheinlich seit es bei Lidl, Aldi oder Kick gaaanz billig farbige Kontaktlinsen zu kaufen gibt – kommt mindestens einmal in der Woche ein Mädchen in meinen Raum, stellt sich vor mich, reißt die Augen auf und fragt: »Frau Freitag, was sagen Sie? Sieht gut aus?«
    Mal unter uns – es sieht nie gut aus. Befremdlich. Zombieartig. Irgendwie alienesk. Diese bildhübschen dunkelhaarigen, solariumgebräunten oder mit rotbraunem Make-up zugekleisterten Teenagerinnen stehen da plötzlich, mit cyanblauen oder hellgrünen Augen. Leider sieht es nie echt und deshalb nie gut aus.
    Kommt ein Mädchen mit diesen Teilen in die Schule, geht sofort der übliche Zirkus los: » Abooo , voll schööön.« Dann in der nächsten Stunde: »Kann ich auch mal?« Und schon werden mit den dreckigen Fingern die Kontaktlinsen rausgepult und in die noch gesunden Kinderaugen gesetzt. » Abooo , sieht bei dir auch voll schön aus!«
    »Echt? Hast du Spiegel? Gib mal!«
    »Ja, vallah , voll süß!«
    Unterricht ist dann nicht mehr möglich, weil die spontane Bedürfnisbefriedigung im Vordergrund steht. Grundbedürfnis Nummer 1: voll schööön aussehen. Kommt noch vor Essen und Trinken. Wie oft habe ich schon meinen Hygienevortrag gehalten: »Keime, Reinigungsflüssigkeit, Zerkratzen – ja, sogar Ablösung der Hornhaut, Erblindung … BRILLE – ein Leben lang.« Nützt alles nichts.
    » Abo , voll schööön, darf ich auch mal?«
    Und dabei weiß ich, wovon ich spreche. Jahrzehntelang war ich zu eitel, eine Brille zu tragen, und zu faul, die Vorschriften für die Kontaktlinsenpflege zu befolgen.
    »Die Reinigungsflüssigkeit in diesen Döschen jeden Tag wechseln? Ach was, die wollen doch nur möglichst viel davon verkaufen. Diese Krümel, die da in dem Behälter rumschwimmen, die kann ich doch locker mit den Fingern rausfischen.«
    Ich bin mit den Linsen eingeschlafen, wenn ich zu müde war, sie rauszunehmen, ich habe mal eine in der Disko verloren, auf dem Boden wiedergefunden (leider kaputt) und einfach wieder ins Auge getan – was soll sein? Sonst sehe ich doch nichts.
    Und dann kam der Schock: ein fettes Geschwür auf der Hornhaut. Direkt über dem Sehnerv. Krankenhaus. Tägliches Tropfen, mehrere Tage ganz blind – weil es sich auf das gesunde Auge übertragen hat, und ständig der Chefarzt: »Klar können Sie weiterhin Kontaktlinsen tragen, wenn Sie auf Ihr eines Auge verzichten können …«
    Und seitdem muss ich eine Brille tragen. Aber meine Schülerinnen – hat sie meine authentische, voll selbsterlebte Horrorkontaktlinsengeschichte beeindruckt? Natürlich nicht. »Ja, ja, lass die Alte mal quatschen, was weiß die schon?! Die mit ihrer doofen Brille … Und wenn die die abnimmt, sieht die sowieso aus wie ein Maulwurf. Ist doch gut, dass die die trägt. Was ist Geschwür überhaupt?«
    Aber jetzt haben wir den ersten Hornhautzerkratzungsfall in der Klasse. Marcella, die sooo schöne Augen hat, von Geburt an, war heute und gestern nicht in der Schule. Ich rufe sie an.
    Sie kleinlaut: »Ich habe Kratzer auf der Hornhaut.«
    Ich denke: Yes! Endlich! »Ach, du Arme. Von den Kontaktlinsen?«
    Ihr leises »Ja« höre ich kaum.
    »Na, kurier dich mal aus. Dann kannst du ja auch nicht mit zum Wandertag. Wir sehen uns also nächste Woche. Tschüüüs.«
    Manchmal macht das Leben echt den besten Unterricht.
    Brötchen belegt mit Chips und Schokoladenkeksen
    Wandertag mit meiner Klasse. Ohne die zerkratzte Marcella. Da es wider Erwarten aufgehört hat zu regnen, begeben wir uns nun doch in die Natur. Die Restaurantpläne wurden verschoben.
    Erst mal sind nur Ronnie und Christine da. Die haben sich in der Siebten und Achten immer nur gestritten. Jetzt stehen sie ruhig nebeneinander und erzählen sich, mit welchen Bussen sie gekommen sind und wo man umsteigen musste. Wir wollen um 10 Uhr los.
    Um 09.55 Uhr stehe ich immer noch mit Christine und Ronnie und keinem weiteren Schüler am Treffpunkt und warte. Zum Glück kommt wenigstens mein Kollege Herr Müller mit. Herr Müller ist neu, na ja, mittlerweile ist er auch schon ein halbes Jahr bei uns. Wir rauchen immer zusammen, und er ist sehr nett, etwas freakig. Nicht der typische Lehrer. Seine Klamotten und seine Ausdrucksweise sind einfach etwas zu cool für die Schule. Ich hatte ihn gefragt, ob er nicht mitkommen wollte, da
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher