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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten
Autoren: Ange Guéro
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Menge hatte er ihnen die Ketten abgenommen und sie freigelassen. Er hatte gesagt, die Götter hätten gesprochen; dann hatte er die nunmehr freien Menschen mit Tränen in den Augen umarmt. Und immer noch hatte Non’iama geglaubt, dass alles möglich sei. Sie hatte den Atem angehalten, und wie sie hatte das Universum gezögert …
    Dann hatte ein Mann einen Stein auf den Tischler geworfen. »Verräter!«, hatte er gebrüllt. »Feigling!«
    Arekh war in die Schatten zurückgewichen und hatte Non’iama mitgezogen. Er hatte ein Stück von seinem Hemd abgerissen, es um ihre Haare geknotet und so die hellen Locken verborgen.
    »Rühr dich nicht, Non’iama«, hatte er gesagt. »Was auch passiert, rühr dich nicht, lass dir nichts anmerken.«
    Der Tischler war gesteinigt worden und die freigelassene Familie mit ihm. Der Priester war mit blut- und staubbefleckten Kleidern vom Berg herabgestiegen. Seine Augen hatten vor Hass gefunkelt, und er hatte eine Rede herausgeschrien, in der Zorn sich mit Kummer vermischt hatte. Später hatte Non’iama erfahren, dass seine beiden Söhne von aufständischen Sklaven am Altar getötet worden waren. Er hatte vom Weltuntergang gesprochen, von Zeichen des Bösen, von göttlichen Gesetzen, die umgestoßen worden
seien, vom Chaos, das sich über die Erde ausbreitete, vom Widerstand, den die letzten Menschen reinen Herzens leisten müssten. Und Arekh hatte begonnen, Non’iama vom Marktplatz wegzuzerren, in der Absicht, nach der Göttin Ayesha und den aufständischen Sklaven zu suchen, die in einen nahen Wald geflohen waren.
    Und Non’iama hatte begriffen, dass ihre ideale Welt an diesem Tag nicht geboren werden würde, und war Arekh gefolgt …
    … und später, als die Soldaten erschienen waren, waren sie getrennt worden.
     
    »Manros wird nicht zurückkommen«, sagte der Mann, der an der Falltür gestanden hatte.
    Sie waren nun schon einen ganzen Tag im Keller. Non’iama saß auf dem Boden aus gestampftem Lehm; sie hatte den Rücken an den feuchten Fels gelehnt.
    »Sei still«, sagte einer der anderen Sklaven. »Halt’s Maul!«
    »Er wird nicht zurückkommen«, wiederholte der Mann. »Und das wisst ihr alle.«
     
    Mit der Nacht des Opfers war die Situation in Quellhausen für Manros und die Sklaven, die er versteckt hielt, unerträglich geworden. Durch die Ankunft der Flüchtlinge war die Nahrung so knapp geworden, dass selbst das Geld des Wirts kaum geholfen hatte, welche zu beschaffen. Es hatte eine solche Hysterie geherrscht, dass freie Männer und Frauen, die zu helle Haare oder Augen hatten, sofort in Verdacht geraten waren, aufständische Sklaven zu sein, und auf offener Straße gesteinigt worden waren.

    Sie hatten gewusst, dass sie früher oder später entdeckt werden würden - sie hatten eine Entscheidung fällen müssen. Manros war also aufgebrochen, und er hatte den Sklaven, die sich in der Küche versteckt hatten, versprochen, zurückzukehren. Er hatte Walnusssaft besorgen wollen, damit sie sich die Haare färben konnten, auch Waffen, Kleider und so viel Proviant, dass sie die Berge würden überqueren können.
    Wenn es gefährlich wurde, so hatte Manros ihnen gesagt, sollten sie in den Keller flüchten. Durch die Hintertür des Weinkellers, eine kleine, runde Holztür, die sich fast unsichtbar in der Ostwand befand, gelangte man in ein Netz von Tunneln, die, wie es hieß, unter den Gipfeln hindurchführten; es war ein so uraltes Gangsystem, dass sein Ursprung in grauer Vorzeit vermutet wurde. Mit den Waffen und Nahrungsmitteln, die Manros ihnen bringen würde, und mit gefärbten Haaren würden die Sklaven durch diese kleine Tür in die unterirdischen Gänge fliehen können. Dann würden sie sich voneinander trennen und versuchen, in den Osten der Königreiche zu gelangen. Jeder auf sich gestellt.
    Ein idealer Plan … nur, dass die Hintertür von außen verriegelt war. Die fünf Sklaven und Non’iama waren in dem Keller gefangen und mussten darauf warten, dass Manros sie befreite.
    Wenn er denn kam.
    Wenn er nicht tot war.
    Wenn er nicht verwundet oder gefangen war oder vom Krieg oder von den Flüchtlingsströmen aufgehalten wurde.
    Wenn er vor allem beschloss, sein Versprechen zu halten.

    Non’iama ärgerte sich mehrfach beinahe, dass Miu sich entschieden hatte, sie zu retten. Die Beine taten ihr weh, weil sie auf dem Boden im düsteren Halbdunkel sitzen musste, der Hunger zerfraß ihr den Magen, der Stein lastete auf ihrer Brust, und der Durst dörrte ihr die Kehle
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